Ungeschminkter Blick auf die Stadt
Die Fotografin Caroline Schreer zeigt ihre Sicht auf Wuppertal in einer Remscheider Galerie. Ihr Bilder-Puzzle bietet Entdeckungen — auch für Alteingesessene.
Irgendwann einmal beschloss Caroline Schreer mit ihrer neuen Heimat Frieden zu schließen, begann, sie anders zu sehen. Aus der Erkenntnis wurde im letzten Jahr eine faszinierende und noch nicht beendete Fotoserie. Unter dem Titel „Wuppertal — ich seh dich“ sind ab Sonntag 36 Arbeiten daraus in der „Ins Blaue Art Gallery“ in Remscheid zu sehen. Ergänzt durch die filmischen Porträts von bekannten Menschen aus der Stadt, die Thomas Seibel unter dem Titel „Wuppernachbarn“ erstellt hat. Eine Einladung zur Neu-Entdeckung — auch für langjährige Wuppertaler. Die Fotografin fasst zusammen: „Ich blicke auf die Fassaden, Thomas Seinel zeigt die Menschen, die dahinter wohnen.“
Caroline Schreer
Geboren wurde Schreer 1975 in Köln, nach Wuppertal kam sie, um Kunstpädagogik mit Schwerpunkt Fotografie zu studieren. Kein leichter Schritt für die Rheinländerin, sie musste sich mit der Stadt erstmal anfreunden. Nach 20 Jahren aber steht fest: „Die Stadt hat irgendetwas, sie hält mich. Ich will gar nicht mehr weg.“ Einfacher hatte es Schreer da mit der Fotografie. „Ich bin in eine Fotografenfamilie hineingeboren“, erzählt die 42-Jährige, die mit zehn Jahren ihren ersten Fotoapparat geschenkt bekam. Zusammen mit dem Ratschlag des Vaters, erstmal einen Blick für Motive zu entwickeln. Und so lernte sie, genau hinzuschauen. Der Fotoapparat wurde zum steten Begleiter, mit dem sie alles dokumentierte, was sie sah (und sieht). Anfangs noch analog mit „Laborromantik, Zeit und Gefühl fürs einzelne Bild“, heute digital, „obwohl ich mir geschworen hatte, das nie zu tun“. Vor 12/13 Jahren begann für sie das digitale Zeitalter. Mit der Folge, dass sie der Versuchung erlag und zunächst alles Mögliche fotografierte. Um nachher umso mehr sichten zu müssen. Es folgte ein Lernprozess: Heute geht Schreer auch mit der digitalen Kamera „viel reduzierter und gezielter vor.“
Aktuelles Beispiel dafür ist ihre Wuppertaler Fotoserie — frei nach dem Zitat des berühmten französischen Malers Henri Toulouse-Lautrec: „Überall und immer hat auch das Hässliche seine bezaubernden Aspekte; es ist erregend, sie dort zu finden, wo niemand sie bisher bemerkt hat.“ In einem (nie abgeschickten) Brief hat die Fotografin das Zitat auf Wuppertal angewendet, diese „stolze und eigenwillige Stadt“, die schwer zu beschreiben sei, deren Schönheiten gefunden werden müssen, deren „liebenswerte Tiefen und Facetten“ erst auf den zweiten Blick sichtbar werden.
Zwischen 60 mal 90 und 10 mal 15 Zentimetern groß, schwarz-weiß oder bunt, stechend scharf oder leicht verschwommen sind die Fotos über „Wuppertal als fragmentarisches Puzzle“, die Caroline Schreer in Remscheid ausstellt. Sie zeigen so bekannte Motive wie die Tänzer von Pina Bauschs Tanztheater auf dem stillgelegten Schauspielhaus, die himmelblaue Schwebebahn oder den Schriftzug des Rex-Kinos in Elberfeld. Eine marode Bushaltestellenwand aus erblindetem Plastikglas, eine einsame Fußballflagge, die aus einem Schrebergarten herausragt oder zerfetzte Absperrbänder vor grauem Einheitspflaster sind da schon schwerer zu verorten.
Schreer schaut ganz genau hin, geht ins Detail, hebt den Ausschnitt in den Mittelpunkt, schafft (ungewollt) Suchbilder — „ehrlich, klar, ungeschminkt, so wie Wuppertal eben aussieht“. Auf ihren Alltagswegen entdeckt die Fotografin ihre Motive mit genauem Blick, der heute vor allem an Grauem, vermeintlich Hässlichem hängenbleibt. Ihre Lieblingsfotos sind die schneckenhaushafte Zufahrt ins Kaufhofparkhaus und ein Ensemble aus geöffnetem Zufahrtstor, Laterne und Verteilerkasten vor einer Hauswand am Mäuerchen, das es auch auf die Einladungskarte für die Remscheider Ausstellung geschafft hat. „Ich will die Aufmerksamkeit des Betrachters provozieren, ihm zugleich Raum für seine eigene Interpretation geben.“ Ihre ersten, bei Facebook eingestellten Wuppertal-Ansichten kamen jedenfalls schon mal gut an.
Vor allem grüne Motive lernte die Fotografin dagegen kennen, als sie für die Stadtsparkasse den Jahreskalender 2018 erstellte. Die Mitarbeiter ließen sich an ihren Lieblingsorten in der Stadt ablichten — und die waren meistens in Parks, Wald und Flur.