Stadtjubiläum Das letzte Konzert des „Jüdischen Kulturbundes“

Wuppertal · Ab 1933 wurden Kulturverstaltungen für Juden immer schwieriger, 1938 unmöglich.

Blick in das Innere der Elberfelder Synagoge.

Foto: ja/Stadtarchiv Wuppertal

Als an einem Sommerabend im Jahr 1938 die jüdischen musikliebenden Frauen und Männer des Wuppertals in die Genügsamkeitstraße strömten und erwartungsvoll die Stufen zur Elberfelder Synagoge betraten, ahnte niemand von ihnen, dass sie nun zum letzten Mal ein Konzert in ihrer Heimatstadt genießen würden. Auf dem umfangreichen Programm von Ilse Sass (Klavier) und Lily Heimann-Mamlock (Violine) standen eine Sonate von Felix Mendelssohn, Chopins Berceuse B-Dur und die Valse brillante, Busonis Indianisches Tagebuch, Lalos Symphonie espagnole und die Chaconna von Tomaso Vitali.

Schlusspunkt einer sehr besonderen Kulturgeschichte

Dieses Konzert vom 10. August war der Schlusspunkt einer sehr besonderen jüdischen Kulturgeschichte in Wuppertal. Sie hatte unter dem Druck und zugleich mit der Förderung der Nationalsozialisten erst wenige Jahre zuvor ihren Anfang genommen: Der „Jüdische Kulturbund“.

Diese Organisation war schon im Sommer 1933, zunächst nur in Berlin, gegründet worden, und zwar als eine Art „Selbsthilfe“: Mit ihr sollten den jüdischen Kulturschaffenden, die von öffentlichen Bühnen und Konzerthallen verdrängt waren, neue Auftritts- und Erwerbsmöglichkeiten geschaffen werden. Auch das jüdische Publikum kam so in den Genuss eines „eigenen“ Kulturangebots.

Bald wurden im ganzen Reichsgebiet regionale und lokale Abteilungen gegründet, und seit 1933 organisierte der „Kulturbund Rhein-Ruhr“ Abende auch in Wuppertal. Zwar wurden die Aktivitäten von der Gestapo kontrolliert und die Suche nach geeigneten Sälen immer schwieriger – diese neue jüdische Organisation indes stellte zumindest in den ersten Jahren ein hochwertiges Programm auf die Beine. In fast jeder Stadt gastierten Theaterensembles und Orchester mit Konzerten und Opern, wurden Vorträge gehalten, Lesungen und Kleinkunst angeboten. Besonderen Erfolg bei den zunehmend bedrängten Juden hatten die Kammermusikabende und Komödien, und zu einer regelrechten Blüte kam es bei der Kleinkunst: Kabarett, Sketche, Couplets und Zauberei.

Die Aktivitäten des Kulturbundes waren auch bestimmt von der Frage, was denn eigentlich unter „jüdischer Kultur“ zu verstehen sei. Hinfällig erschien das Nazi-Argument, die Abstammung des Künstlers sei entscheidend. Aber wie könnte man sonst „jüdische Kultur“ definieren – außerhalb von jiddischer Folklore und synagogaler Liturgie? Das wurde von Kulturschaffenden lebhaft diskutiert. Für die Praxis erledigten sich solche Fragen bald von selbst, als der Spielplan die staatliche Zensur bestehen musste. 1936 waren Goethe und die ganze literarische Klassik für Juden verboten worden, Beethoven 1937. Der Österreicher Mozart wurde erst nach dem „Anschluss“ im März 1938 gestrichen, der „Engländer“ Händel bis zur „Reichskristallnacht“ erlaubt. Danach waren „arische“ Autoren und Komponisten für jüdische Kulturveranstaltungen generell tabu.

In Wuppertal fanden die heiß begehrten Kulturbund-Abende in den Sälen verschiedener Gesellschaftsvereine und in der Stadthalle statt. Dort war es im März 1935 allerdings zu einem Eklat gekommen: Während im großen Saal eine Veranstaltung des Winterhilfswerks stattfand, hatte der „Jüdische Kulturbund“ im Gelben Saal (heute Mendelssohn-Saal) zu einem Diavortrag über den Maler Max Liebermann eingeladen. Folglich begegnete sich das Publikum – Juden und Nationalsozialisten – bei den Garderoben. NSDAP-Kreisleiter Rudolf Feick entrüstete sich lautstark, und die Folge war, dass die Stadthalle ihre Säle nicht mehr an den jüdischen Kulturbund vermieten durfte. Eine der alternativen Spielstätten war nun auch die Synagoge.

Exakt drei Monate nach dem sommerlichen Konzert mit Klavier und Violine, am 10. November 1938, zündeten fanatische und betrunkene Nazihorden die Synagoge an, verwüsteten das Innere und stahlen später aus dem Gotteshaus, was die Juden nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten. Diese suchten ihren Ausweg nun in der Emigration. An ein Kulturleben in Wuppertal war nicht mehr zu denken.