Uraufführungen von Ulrich Klan und Martin Hörisch mit Musikerinnen und Musikern von „Lebenslaute“ bei Protest-Aktion im Osterholz Musik ist ein starkes Argument, das man nicht überhören kann
Der Wuppertaler Musiker Ulrich Klan hat hochaktuelle Inhalte vertont.
„Sie sägten die Äste ab, auf denen sie saßen... Und sie fuhren mit Krache in die Tiefe... Und sägten weiter“, schrieb Bertolt Brecht 1935 in seinen „Gedichten im Exil“. Hochaktuelle Sätze, die der Wuppertaler Musiker Ulrich Klan im vergangenen Herbst vertont hat. Zunächst für eine Solostimme, dann erweiterte er das Werk in einen Kanon mit verschiedenen Instrumenten und Toneinlagen, die auch Sägelaute der Geigen einschließen. Für „Lebenslaute“ erzählt er. Die vornehmlich im deutschsprachigen Raum beheimatete offene Musik- und Aktionsgruppe übt seit über 30 Jahren zivilen Ungehorsam aus. Das Besondere: Sie tut dies mit dem Mittel der klassischen Musik. Am Sonntag führten etwa 25 Lebenslaute-Aktivisten Klans Werk im Waldgebiet Osterholz auf, das durch die geplante Haldenerweiterung der Kalkwerke Oetelshofen gefährdet ist.
Es war ein berührender, wenn auch ziemlich kalter Moment, der unter die Haut ging. Mitten im Wald erklang am 2. Januar das Chor- und Orchesterwerk. Die Leute seien mucksmäuschenstill geworden, die Akustik zwischen den weitgehend entlaubten Bäumen wunderbar gewesen, erinnert der Wuppertaler Komponist und Sänger, der sein Werk selbst dirigierte. Und als Vorsitzender der Armin T. Wegner-Gesellschaft auch eine Rede hielt. So sei „besonders deutlich“ geworden, „wie schade es wäre, wenn der Wald gerodet werden würde“.
Emotionaler Moment führt Schönheit des Waldes vor Augen
Es werde immer ohne Verstärker unplugged musiziert, sagt Chorleiter Martin Hörisch, der ebenfalls am Open-Air-Konzert mitwirkte. Der Geigenlehrer im Ruhestand aus Erkrath führte erstmals sein vierstimmiges Chorstück „Ella“ auf, das auf einer Melodie aus dem deutschen Vormärz und einem aktuellen Text von Wilfried Kosiol basiert. Es übt Solidarität mit der inhaftierten Waldschützerin Ella aus dem Dannenröder Forst. Man entdecke immer wieder alte Texte, die erschreckend aktuell seien und dass „wir immer noch unsere Lebensgrundlagen infrage stellen“, erzählt Hörisch. Abgerundet wurde das etwa 20-minütige Waldkonzert durch zwei berühmte Chorwerke der deutschen Romantik von Brahms und Mendelssohn-Bartholdy.
Die Wiege von „Lebenslaute“ stand in Mutlangen, wo 1986 vor dem Pershing-II-Raketenlager demonstriert wurde. Mit dabei Ulrich Klan, heute 68 Jahre, und Martin Hörisch, heute 69 Jahre. Die Idee: Mit Freundlichkeit, strikter Gewaltfreiheit und hochklassigem Vortrag klassischer Musik in Konfrontation zu herrschenden Bestimmungen zu gehen. Auf Militärübungsplätzen und Abschiebeflughäfen, vor Atomfabriken und Raketendepots, in Ausländerbehörden und an anderen menschenbedrohenden Orten. Meist dezentral und oft auch an unbekannter Stelle. Mindestens einmal im Jahr, mittlerweile in vierter Generation – mehrere Hundert Menschen, auch heute noch, ein Pool der wachse und sich verjünge, erzählen Klan und Hörisch. Die Musikerinnen und Musiker, ob Profis oder engagierte Amateure, die 2014 den Aachener Friedenspreis erhielten, docken sich dabei bewusst an lokale Kampagnen an. Und sie setzen darauf, dass ihre Blockaden nur aufwendig und zeitintensiv aufgelöst werden können. „Da sitzt Kulturgut, das kann man nicht so einfach wegräumen“, sagt Klan und Hörisch ergänzt: „Wir begleiten keine Demo, wir sind Sand im Getriebe mit Musik, die einen hohen Anspruch hat.“
Im vergangenen Sommer spielten sie in Lützerath gegen den Braunkohleabbau durch RWE an. Im Anschluss erneuerten mehr als 30 Leute die Lebenslaute-Regionalgruppe Rhein-Ruhr, die Menschen zwischen Münster und Bonn vernetzt. Im Osterholz hatten sie ihren ersten gemeinsamen Auftritt, der wegen der Corona-Pandemie nur in Kleingruppen und mit digitaler Unterstützung geprobt wurde. Klan, der am Sonntag mit seiner Band „Fortschrott“ auf dem Vorplatz des Bahnhofes Vohwinkel in die Veranstaltung einstimmte, wirkt derzeit noch bei der Osterholzer Mahnwache wird.
Derweil wird die nächste bundesweite Lebenslaute-Aktion im kommenden Sommer vorbereitet. Immer in der Überzeugung, dass Musik zwar nicht die Welt retten kann, aber ein „derart starkes Medium ist, dass es unser Engagement sehr deutlich rüberbringen kann“, meint Hörisch.