Herr Professor Hilberg, wie wichtig ist Sport, respektive Bewegung, im Alter?
Sport im Alter „Gerade im Alter ist Sporttreiben besonders wichtig“
Wuppertal · Interview Professor Thomas Hilberg, leitender Sportmediziner der Bergischen Uni, zur Bedeutung von Seniorensport.
Thomas Hilberg: Bewegung und Sport haben im Alter eine ganz herausragende Rolle. Darüber wird gewährleistet, dass wir unsere täglichen Aufgaben bewerkstelligen können. Denn mit dem Alter lassen Ausdauer, Kraft und Koordinationsfähigkeit sowie die Flexibilität nach. Diese Leistungsfähigkeiten möglichst bis ins hohe Alter zu erhalten, geht nur, indem wir uns körperlich bewegen. Das Witzige ist, dass man im Alter denkt, warum soll ich denn noch Sport treiben, aber eigentlich wäre es dann besonders wichtig.
Sie haben zum Beispiel Ausdauer, Kraft und Koordination genannt. Was davon ist besonders wichtig?
Hilberg: Sie haben alle eine Bedeutung. Nehmen wir die Ausdauer. Wir wissen, dass die Leistungsfähigkeit dort bereits nach dem 30. Lebensjahr um ein Prozent jährlich nachlässt. Das bedeutet, dass ein 80-Jähriger nur noch die Hälfte seiner ursprünglichen Ausdauerleistungsfähigkeit hat. Das kann manchmal zu wenig sein, um mit zwei Einkaufstüten über eine vierspurige Straße zu gehen, weil die Grünphase der Ampel nicht ausreicht. Nehmen wir die Kraftfähigkeit. Diese nimmt auch ab dem 30. Lebensjahr, vor allem aber dann ab dem 50. Lebensjahr verstärkt ab und in den späteren Dekaden nochmals deutlicher. Wir verlieren Muskelmasse und Qualität, was dazu führt, dass wir gewisse Dinge, wie Treppensteigen nur noch schwierig umsetzen können. Auch die Koordination geht im Alter verloren, was dazu führt, dass die Fallneigung ansteigt.
Kann man allem entgegenwirken?
Hilberg: Man kann bis ins hohe Alter durch entsprechendes Training eine Verbesserung in allen drei Bereichen erreichen. Das ist besonders wichtig, weil der demografische Wandel uns genau diese Aufgabe gibt. Im Jahr 2050 werden wir circa 40 Prozent Über-60-Jährige und eine erhebliche Zahl an Über-80-Jährigen haben.
Gibt es den idealen Seniorensport?
Hilberg: Der ideale Seniorensport umfasst alle Komponenten. Er wird von einem Fachmann, sei es Trainer oder Sportwissenschaftler, angeleitet, der sich mit den Veränderungen im Alter auskennt und genau diese Reize setzt, die angepasst sind an die Person, die man erreichen will.
Haben sie Beispiele?
Hilberg: Bleiben wir mal im Kraftbereich. Da ist sicherlich ein gerätegestütztes Training sinnvoll, weil man Winkel einstellen und bestimmte Positionen kontrollieren kann. An sehr professionellen Geräten wird dazu nicht nur die Intensität, sondern auch die Bewegungsgeschwindigkeit vorgegeben. Damit hat man ein Großmaß an Kontrolle. Das ist aber nur ein Mosaikstein in einem umfassenden Training. Dazu gehören auch immer Ausdauer und koordinative Komponenten sowie Flexibilität.
Ergeben Gruppenangebote wie in Sportvereinen oder Seniorenheimen denn trotzdem Sinn?
Hilberg: Sie ergeben Sinn, wenn auch ein guter, erfahrener Gruppenleiter das umsetzt. Er wird auch in der Gruppe in der Lage sein, eine vernünftige Trainingssteuerung umzusetzen. Hinzu kommt, dass dieser Gruppenleiter sich auch mit den Krankheitsbildern im Alter und auch mit den Medikamenten, die viele ältere Menschen nehmen, auskennt und auseinandersetzt. Denn viele Medikamente haben auf leistungsphysiologische Parameter Einfluss. Ein Dilemma ist, dass die gut ausgebildeten Sportwissenschaftler meist relativ schlecht bezahlt werden. Wenn man hier an der Bergischen Universität zum Sporttherapeuten ausgebildet wird, hat man ein Masterstudium. Der Markt ist leider oft so, dass er eher die günstige Variante wählt.
Wo kommen Ihre ausgebildeten Sportstudenten denn hauptsächlich unter?
Hilberg: In Kliniken, in Vereinen und für noch Berufstätige in Bereichen des betrieblichen Gesundheitsmanagements. Sie machen dort die Sporttherapie, das nimmt zu, weil man sieht, wie sinnhaft es ist. Aus meiner Sicht müsste jedes Seniorenheim einen Sporttherapeuten haben. Der hätte auch genug zu tun. Aber man bräuchte auch dort die Räumlichkeiten, das ist durchaus in der einen oder anderen Einrichtung schwierig.
Würden sie jedem ab einem gewissen Alter, der ein Sportangebot wahrnehmen will, raten, sich vorher ärztlich untersuchen zu lassen?
Hilberg: Ja, das sollte man auf jeden Fall tun. Im Zweifelsfall auch in einem sportmedizinischen Institut. Die Zentren sind durchaus auch auf Seniorensport ausgerichtet. Auch die Fachgesellschaft empfiehlt, dass insbesondere Neueinsteiger, aber auch Wiedereinsteiger sich ab einem gewissen Alter vorab untersuchen lassen.
Pflegt Ihr Institut in diesem Bereich Kooperationen?
Hilberg: Ja, beispielsweise mit dem SV Bayer Wuppertal, der auch Seniorensport anbietet. Unsere Studenten, die zum Master der Sportwissenschaft ausgebildet werden, können in diesem Verein zum Beispiel auch hospitieren.