Reportage Morgens um sieben in der Wuppertaler Backstube

Wuppertal · In der Produktion von Policks Backstube herrscht nicht nur nachts reges Treiben. WZ-Redakteurin Nina Mützelburg versuchte sich als Azubi am Teig.

Nina Mützelburg ist „Azubi“ für einen Tag und hat trotz der frühen Stunde viel Spaß in der Backstube.

Foto: Anna Schwartz/ANNA SCHWARTZ

Um kurz vor sieben ist es noch recht ruhig auf Wuppertals Straßen. Einige wenige sind an diesem regnerischen Novembermorgen auf dem Weg zur Arbeit. An der Straße Unterer Dorrenberg ist nur eine Fensterfront hell erleuchtet, die von Policks Backstube. Sigrid Dieckmann, bei den Stammkunden nur „Siggi“ genannt, steht hinter dem Tresen und versorgt die ersten Kunden, die auf dem Weg zur Arbeit kurz Halt machen, mit Kaffee und belegten Brötchen.

Das eigentliche Treiben findet allerdings in den Räumen hinter dem Verkaufsbereich statt. Denn da hat Bäcker Dirk Polick seine Backstube, von der aus alle seine elf Filialen in Wuppertal und angrenzenden Städten mit Backwaren versorgt werden. Allein 10 000 Weizenbrötchen werden pro Tag produziert, hinzu kommen sieben weitere Brötchensorten, fünf Sorten Brot, drei verschiedene Kuchen und diverse Teilchen. Drei Fahrzeuge sind ab drei Uhr in der Nacht unterwegs, damit, wenn die Filialen um sechs Uhr öffnen, schon einiges in der Auslage liegt. Über den Tag verteilt wird dann nachgeliefert. Brötchen gibt es immer frisch, die kommen als Rohlinge in die Filialen und werden dort gebacken. „Ein Brötchen bleibt etwa zwei Stunden frisch, darum wird bei uns ständig nachgebacken“, erklärt Backstubenleiter Sascha-Patrick Olbrisch.

Bäcker Thorben Weller lässt den Teig für die Plundertaschen durch die Luft fliegen.

Foto: anna Schwartz/ANNA SCHWARTZ

Kunden bemerken die kleinsten Veränderungen an der Rezeptur

Um sieben Uhr haben die ersten in der Backstube also schon Feierabend - die Produktion für diesen Tag ist bereits gelaufen. Die Schicht, die dann arbeitet, produziert schon Gebäck für die nächsten Tage. Und da zeigt sich, dass hier nicht romantisch-verklärt jedes Brötchen per Hand gerollt wird, sondern dass viele Arbeitsschritte von hochmodernen Maschinen erledigt werden. Da wird jedes Brötchen mit einer exakten Menge Teig in die genau richtige Form gebracht.

Bäcker Dembo Diaby und die Auszubildende Amabel Obogwu mit Brötchen-Rohlingen an einer der vielen Maschinen in Policks zentraler Backstube.

Foto: anna Schwartz/ANNA SCHWARTZ

Auch die Zeit, die jeder Teigrohling über die verschiedenen Ebenen der Produktionsstraße läuft, ist von Polick genau erprobt. „Unsere Rezepte und Produktionsschritte sind von uns über Jahre entwickelt worden. So kennen unsere Kunden unsere Brötchen und so wollen sie sie auch haben“, erklärt Dirk Polick. Kleinste Änderungen im Ablauf oder bei den Zutaten werden von den Stammkunden sofort bemerkt. „Da müssen wir immer nachbessern, denn wir arbeiten hier mit Naturprodukten, die immer mal etwas anders sein können“, so der Chef. Die Qualität des Mehls sei zum Beispiel noch nie so schlecht gewesen, wie in den vergangenen zwei Jahren. Das läge am Klima und auch an EU-Verordnungen, die es den Bauern teilweise schwer machen. Dann muss auch mal ein Rezept angepasst werden.

Der Fachkräftemangel ist auch bei Policks spürbar

Ohnehin sieht sich der Bäcker momentan vor schwierigen Herausforderungen, nicht nur aufgrund der Rohstoffqualität. Am meisten macht ihm der Fachkräftemangel zu schaffen, zehn bis 15 Stellen hätte er zu besetzen, findet aber kaum Bewerber, obwohl der auch in seiner Funktion als Obermeister in der kreishandwerkschaftlichen Bäcker-Innung ständig im Auftrag der Fachkräftegewinnung unterwegs ist, keine Jobmesse auslässt und seine Mitarbeiter sogar in Schulen schickt, um den Beruf den Jugendlichen schmackhaft zu machen. „Das Handwerk hat insgesamt Nachwuchsprobleme, im Bäckerberuf müssen wir aber noch mit den Vorurteilen kämpfen, dass die Arbeitszeiten schlecht und die Tätigkeiten körperlich anstrengen sind“, so Polick. Insbesondere kleinere Kinder seien immer sehr begeistert, wenn sie die Backstube besucht haben oder einer von Policks Backstube in Kindergärten oder Schulen war. Aber irgendwo im Teenageralter würde sich diese Begeisterung dann verlieren, sagt der Bäcker: „Dabei ist es längst nicht mehr so, dass hier die 50 Kilo schweren Mehlsäcke geschleppt werden müssten. Dafür gibt es längst Hilfsmittel.“ Und sein Backstubenleiter, selber Vater von drei Kindern, bricht eine Lanze für die Arbeitszeiten: „Ich habe tagsüber sehr viel Zeit für meine Kinder. Wenn sie in Schule und Kindergarten sind, schlafe ich. Anschließend haben wir den ganzen Nachmittag gemeinsam. Das haben sehr viele andere Väter nicht“, sagt Olbrisch, der selber schon von klein auf in die Backstube wollte und darin seinen absoluten Traumberuf gefunden hat.

Das Wipperchen verlangt viel Aufmerksamkeit

Während die Brötchen und anschließend Berliner Ballen durch die Teigmaschine in Form gebracht werden, werden viele Arbeitsschritte des sogenannten Handgebäcks, also den Teilchen, noch per Hand gemacht. Das beliebte Wipperchen, ein Plunderteilchen, erfordert da die Aufmerksamkeit gleich mehrerer Angestellter. Die Nussmischung wurde bereits mit Teig ummantelt und zu einem kleinen Päckchen verpackt. Omar Benlouer verpasst den Teigtaschen nun einen präzisen Schnitt. Da soll später der Pudding rein. Benlouer ist erst vor zehn Monaten aus Tunesien nach Wuppertal gekommen, lernt gerade Deutsch und hofft, anschließend in Policks Backstube seine Ausbildung machen zu können. Überhaupt konnte Dirk Polick schon einige Geflüchtete für sich gewinnen, auch welche, die eigentlich in der Ukraine Fuß fassen wollten, gerade als der Krieg dort ausbrach.

Am Tisch nebenan drückt Antonia Hartmann die Wipperchen nun herzhaft in ein Bett aus Mandeln. Sie ist eine von acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Handicap, die Polick beschäftigt. Seit drei Monaten steht sie nun in der Backstube. Auch sie strebt eine Ausbildung an. Im „süßen Bereich“ wie bei den Teilchen arbeitet sie am Liebsten. Den letzten Schritt vor dem Backen macht dann Bäcker Thorben Weller, er verpasst den Wipperchen ihren Puddingstreifen. Den mögen die Kunden am liebsten, darum ist auch die klassische Puddingbrezel noch vor den Wipperchen der Verkaufsschlager bei Policks.

Bevor auch für Sascha-Patrick Olbrisch an diesem Tag Feierabend ist, will er noch den Stollen den letzten Schliff verpassen, denn an diesem Tag sind die ersten Exemplare des beliebten Weihnachtsgebäcks im Ofen gelandet. Der Rest der Weihnachtsbäckerei läuft bereits seit Anfang Oktober auf vollen Touren.

65 Jahre ist Dirk Polick alt, allzu lange möchte er nicht mehr in seiner Backstube stehen. Zum Glück beschränken sich seine Nachwuchssorgen in diesem Fall „nur“ auf die Angestellten. Die Nachfolge des Betriebs, den es mit einem Neustart 2012 eigentlich seit 1925 gibt, ist mit seinen Kindern Svenja (29) und Tim (32), die beide bereits im Betrieb arbeiten, gesichert. Eine Sorge weniger, die viele andere seiner Kollegen haben. „Momentan machen pro Tag etwa 1,5 Bäckereien dicht, weil ihnen der Nachwuchs fehlt“, so Dirk Polick.