Mystische Momente am Ende der Welt
Mycha Schekalla berichtet von der Reise seiner Familie im Wohnwagen durch Europa.
Am Ende der Welt steht ein Leuchtturm und knallt sein Licht rhythmisch auf die offene See. Es ist knapp nach Mitternacht. Ich liege hinter dem Wohnmobil auf dem Boden und starre in einen sternenklaren Nachthimmel, der im Takt zu einer stillen Musik durch den Lichtkegel durchbrochen wird. Die Temperatur ist angenehm warm und außer zwei weiteren Campern und dem Leuchtturmwärter mit seinen drei Hunden ist keine Menschenseele hier.
Butze
auf Rädern
Vor fünf Stunden waren die Klippen von Sagres (Portugal) noch voll mit Menschen. Reisebusse huschten im Schwarm auf den anliegenden Parkplatz, entluden ihre menschliche Fracht schwallartig für einige wenige Minuten und fuhren noch vor dem Sonnenuntergang, den alle hier sehnlichst erwartet haben, vollbesetzt wieder von dannen.
Auf Fotos sieht jedoch alles äußerst langweilig aus. Die Sonne ist ein piefig weiß-roter Stecknadelkopf über einer endlos dunklen Fläche. Das Ende der Welt ist hier auch gar nicht. Nichtmal geografisch der südlichste oder westlichste Punkt vom Festland Europas. Trotzdem kann ich verstehen, dass man hier gerne eine mystische Kraft in den Köpfen der Touristen verbreiten will.
Die braucht es aber gar nicht, wenn man seine Beine über meterhohe Klippen baumeln lassen kann, die gefährlich unverantwortlich ohne Absperrung steil aus dem Meer ragen. Kaum steht die Sonne nicht mehr am Himmel, verziehen sich alle, von denen man dachte, man hätte einen speziellen Moment mit ihnen geteilt. Keine Stunde später ist niemand mehr da, und die Kinder und ich warten, dass der Leuchtturm endlich angeknipst wird.
Am Morgen danach kaufe ich mir beim vertrauenswürdig aussehenden Händler, der im Begriff ist, seinen Flohmarkt-ähnlichen Stand uns gegenüber aufzubauen, einen Poncho aus Wolle; in weiser Voraussicht, dass die Tage kälter werden können.
Die Kinder machen die Fahrt erstaunlich solide mit. Krank werden sie trotzdem. Der abenteuerliche Besuch eines portugiesischen Arztes/Krankenhauses mit anschließender Antibiotikumkur ist der einzige Makel in einer sonst tadellosen und virenfreien Fahrt.
Das Wohnmobil ist mittlerweile tapeziert mit Kindergekrakel und bunten Bildchen, so dass es sich ordentlich gemütlich anfühlt. Wir tragen den Rest dazu bei, indem wir alle gelernt haben, uns treiben zu lassen. Dazu hatten wir das Glück, manch eine Nacht auf Parkplätzen verbringen zu dürfen, die einen nahtlosen Übergang von Wohnmobil und Strand garantierten.
Unsere rollende Butze bringt uns alsbald über die Grenze nach Spanien. Das Ende der Welt markiert unsere vorübergehende Rückreise nach Wuppertal für die Feiertage. Dumm nur, dass wir bald merken müssen, dass es in Deutschland immer kälter wird. Eine kurze Unruhe macht sich breit, dass es vielleicht eine ziemlich dämliche Idee war, ausgerechnet im Winter zurück zu kommen.
Auf vielen Campingplätzen, auf denen wir unser eingeübtes Programm — Toiletten-Kassette entleeren, duschen, Wasser auftanken — durchführen, machen sich spanische, französische und deutsche Renter daran zu überwintern. Ich würde gern schreiben, dass hier jede Altersklasse vertreten ist, aber ich falle in meinem Poncho in der eingeschworenen 60plus-Nachbarschaft leider unangenehm jung auf. Gespräche von mehr als wenigen Sekunden anzufangen, sind quasi unmöglich: Es gibt einfach keine Gemeinsamkeiten außer Wein. Dabei haben wir einen Monat zuvor noch sehr nette Familien getroffen, die auf einer ähnlichen, wenn auch manchmal kürzeren Odyssee durch Europa sind.
Etwas traurig fahren wir jetzt durch verbaute spanische Hafenstädte und müssen Zeugen sein, wie wunderschöne Landschaften zugedeckt unter Plastikplanen von Gewächshäusern kilometerlang die Sicht aufs Mittelmeer versperren. Weiter östlich sind Straßenabschnitte besonders häufig mit Orangen- und Mandarinenbäumen gesäumt. Exportschlager fürs Weihnachtsgeschäft, nehm’ ich an. Von dem bekommt man leider genauso viel mit wie in Deutschland. Nur mit praller Sonne.
Saludos y hasta pronto
Euer Mycha