Ausgezeichnet Nachwuchspreis der Uni Wuppertal: Wie das Fahrrad noch nachhaltiger wird

Wuppertal · Maschinenbauerin Jessica Liesen hat einen Index zur Einstufung entwickelt.

Jessica Liesen ist Maschinenbauerin und macht sich über Nachhaltigkeit Gedanken.

Foto: Andreas Fischer

Fahrräder sind in Sachen Nachhaltigkeit in aller Munde – sie sind umweltfreundlich und halten meist auch noch sportlich fit. Doch wie nachhaltig ist eigentlich die Produktion eines Fahrrads? Und wie könnte ein Fahrrad noch nachhaltiger werden, als es jetzt schon ist? Mit diesen Fragen hat sich Maschinenbau-Studentin Jessica Liesen in ihrer Bachelorarbeit beschäftigt. Sie entwickelte einen sogenannten Nachhaltigkeitsindex für Fahrräder und wurde dafür nun vom Verein der Freunde und Alumni der Bergischen Universität (Fabu) mit dem Nachwuchspreis ausgezeichnet.

Um zu verstehen, wie der Index funktioniert, wirft die 24-Jährige aus Radevormwald zunächst einen Blick zurück auf ein vorangegangenes Ingenieursprojekt. Dort hatte sie Lebenszyklen von Fahrrädern untersucht. Sie fand heraus, dass die Materialauswahl eine große Rolle für die Größe des ökologischen Fußabdrucks spielt. „Die Analysen beruhten aber nur auf Annahmen. Bei einer Analyse ging man von 60 Prozent recyceltem Material aus, bei einer anderen von 80 Prozent. Das ist aber gar nicht realistisch“, sagt sie. 30 Prozent recyceltes Material in einem Fahrrad seien schon gut. Und sie fand heraus, dass beispielsweise Aluminium in der Erstproduktion einen sehr großen ökologischen Fußabdruck hat, beim Recycling dann aber wiederum sehr gut abschneidet.

Jessica Liesen wollte die Ergebnisse besser einordnen können und die tatsächlichen Werte eines Fahrrades herausfinden – nicht nur mit Annahmen arbeiten. So entstand die Idee, aus der Arbeit eine Bachelorthesis zu gestalten. Der Index dient zur Bewertung der Nachhaltigkeit von Fahrrädern, sowohl einzelner Komponenten, als auch des jeweiligen Fahrrads im Ganzen. „Damit kann man bestehende Fahrräder zertifizieren, der Index kann aber auch dafür verwendet werden, schon die Komponenten so zu designen, dass das Fahrrad nachhaltiger hergestellt wird“, erklärt Jessica Liesen.

Gedanklich hat sie das Fahrrad in seine Einzelteile zerlegt. Der Index bildet zwar auch die ökonomische und die soziale Nachhaltigkeit ab, als Maschinenbauerin hat sich Jessica Liesen aber vor allem auf den ökologischen Aspekt konzentriert – und damit auch auf die Möglichkeiten im Design und im Aufbau der Komponenten. Sie macht das an zwei Beispielen deutlich.

„Der Rahmen eines Fahrrads hat den größten Materialanteil“, erklärt sie. Verwendet werden meist Stahl, Aluminium, Carbon und Titan, wobei Titan jedoch eine Randgruppe sei, die nicht so häufig verbaut werde. „Stahl und Aluminium sind die geläufigsten Materialien, obwohl Aluminium mittlerweile vorherrschend ist, weil es am Leichtesten ist. Aluminium hat bei der Erstproduktion einen sehr großen ökologischen Fußabdruck, ist aber super recyclebar“, betont sie noch einmal. Wenn Carbon einmal kaputt ist, sei es kaum noch zu retten. „Da muss man dann einen neuen Rahmen kaufen.“

Wie Fahrräder besser
repariert werden könnten

Bei der Schaltbaugruppe des Antriebs sei Stahl hingegen die bessere Wahl. „Es hat eine deutlich bessere Haltbarkeit als Aluminium. Da macht es Sinn, das verschleißärmere Material zu verwenden“, erklärt Liesen.

Neben der Materialauswahl hat sie noch weitere Aspekte untersucht, die im Nachhaltigkeitsindex gemessen werden. So auch die Produktionsbedingungen und den Transport. „In Europa zu produzieren, ist sicherlich nicht verkehrt. Es wäre aber auch schon gut, wenn die Produktionsbedingungen überwacht würden und man weiß, wer für einen produziert“, sagt sie. Der Transport lasse sich nicht vermeiden, er könne aber so effizient wie möglich gestaltet werden – zum Beispiel, indem mehrere Räder gesammelt verschickt werden.

Als Maschinenbauerin hat sich Jessica Liesen zudem für die Reparierbarkeit und Updatefähigkeit von Fahrrädern interessiert, „damit das Fahrrad eben nicht nach ein paar Jahren kaputt ist, sondern lange hält und auch repariert werden kann. Das finde ich ganz elementar“, sagt sie. Das funktioniere gut über Modularität – also wenn das Fahrrad modular aufgebaut ist. „In einem Fahrrad ist keine Technik, die man in dem Sinne updaten kann. Bei der Updatefähigkeit geht es darum, dass man nicht den ganzen Antrieb tauschen muss, wenn man beispielsweise eine bessere Schaltbaugruppe haben möchte.“ Die Hersteller sollten die Teile so modular aufbauen, dass man sie miteinander kombinieren kann – und dafür entsprechende Ersatzteile verfügbar sind. „Da spielt auch der Preis der Ersatzteile eine Rolle und die Dauer der Verfügbarkeit. Mir hilft es nicht, ein Teil nur vier Jahre zu bekommen, wenn ich es erst nach sechs Jahren austauschen muss“, sagt Liesen. Punktabzug im Index gibt es beispielsweise auch, wenn für die Reparatur Extrawerkzeug benötigt wird, dass sich ein Fahrradbesitzer erstmal zulegen muss.

Untersucht hat Liesen auch die Verantwortungsübernahme des Herstellers – wie lange Nutzer an Reparaturanleitungen herankommen oder an Informationen zum Aufbau des Rads. „Es bringt alles nichts, wenn der Hersteller unter der Hand gar nicht möchte, dass seine Produkte wiederverwendet werden können. Er muss sich dafür auch einsetzten“, so Liesen. Mit dem Nachhaltigkeitsindex lässt sich schließlich eine Zahl errechnen, die anzeigt, wie nachhaltig das Fahrrad insgesamt ist.

Die 24-Jährige fährt übrigens auch selbst Fahrrad. „Aber lieber E-Bike. Ich musste früher immer mit dem normalen Rad zum Stall fahren, seitdem sind Berge nicht mehr meine Freunde“, sagt sie lachend. Für Liesen war schon in der neuen Klasse klar, dass sie Maschinenbau studieren möchte. „In einem Schulplaner war eine Werbung für ein duales Studium mit Maschinenbau. Meine Mutter sagte, dass das doch super zu mir passen würde. Rechnen sei doch genau mein Ding“, erzählt sie.

Sprachen könne sie zwar auch ganz gut, aber Mathe habe sie mit Abstand am Liebsten gemacht. Das habe sich auch nie mehr geändert. Sie könne sich vorstellen, nach dem Masterabschluss in die Industrie zu gehen – oder aber an der Universität zu verbleiben. „Die Bachelorarbeit hat mir gezeigt, wie viel Spaß mir das macht.“