Pflaster, Pillen und ein offenes Ohr: Unterwegs mit dem Medimobil

Das Medimobil fährt seit 1996 wöchentlich durch Wuppertal und versorgt Bedürftige. Die WZ war an einem Abend mit dabei.

Es ist dunkel und es regnet. Peter Krampen stapft durch Pfützen auf dem Hinterhof der Tafel zum Medimobil. „Wenn es irgendwie geht, fahren wir“, sagt er. Und es geht. Seit zehn Jahren fährt der Rentner in Wuppertal und Solingen den Krankenwagen, der kostenlos, niederschwellig und anonym medizinische Hilfe für Bedürftige anbietet. Jede Woche fährt der Wagen vier Stationen an: Wichlinghauser Markt, Bahnhof Oberbarmen, Schloßbleiche in Elberfeld und Barmer Rathaus. Dabei geht es dem Essenswagen hinterher.

Christian Bünemann steigt in den Krankenwagen. „Mal gucken, ob heute was los ist“, sagt der 62-jährige Hausarzt. Besonders viele Patienten gebe es am Ende des Monats, wenn kein Geld mehr da ist. Bünemann ist einer von sieben Ärzten, die jeder etwa sechsmal im Jahr ehrenamtlich mit dem Medimobil fahren, manchmal mit Krankenschwestern oder Sanitätern. Auch Peter Krampen ist Ersthelfer und ehrenamtlich dabei. „Ich kenne jeden, der auf der Platte rumläuft“, sagt er. Das Medimobil war für den gelernten Steinmetz „Liebe auf den ersten Blick“.

Im Wagen hängt ein Schild mit der Aufschrift „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. „Helfen ist ganz einfach“ steht auf einem Poster. Bünemann, der seit vier Jahren mitfährt, sinkt in seinen Sitz. Es quietscht und ruckelt, als Krampen losfährt. Warum Bünemann mitfährt? Er zögert, überlegt. „Manchmal sind mir diese Leute lieber“, sagt er.

Der Wichlinghauser Markt ist erreicht. „Da ist ein Stammgast“, verkündet Bünemann an der Tür. Ein Mann mit schmalem, faltigen Gesicht und grauen, ungekämmten Haaren steigt ein. „Ich hab mich voll auf die Fresse gelegt,“ sagt er. Bald wird er ein zweites Mal operiert. Bünemann gibt ihm das Schmerzmittel Diclofenac. „Ich danke Dir, mein Freund“, verabschiedet sich der Mann bestens aufgelegt. „Dann alles Gute für die OP“, wirft ihm Bünemann nach. „Wenn ich dann noch lebe“, kommt es zurück. „Jeder Tag zählt“, mahnt Bünemann.

„Er hat bestimmt ’ne Bude, sah noch ganz gepflegt aus“, mutmaßt Bünemann. „Anfang 50 wird er sein, oft sehen sie älter aus, als sie sind.“ Die meisten Patienten würden nach Schmerzmitteln verlangen, von denen das Mobil bewusst nur schwache anbietet.

Peter Krampen steigt am Oberbarmer Bahnhof aus dem Fahrzeug aus. „Bei manchen Patienten muss man schonmal einen schärferen Ton anschlagen,“ sagt er. Krampen benutzt klare Worte. Nach zehn Jahren im Medimobil kann ihm dort keiner mehr etwas vormachen.

„Pflaster“, sagt ein älterer Herr. „Das will der nicht“, richtet sich Krampen leicht amüsiert an Bünemann. „Ich kann dir genau sagen, was der will.“ Dann gibt er doch ein Pflaster raus. „Hier, biddeschön!“

Einer jungen Frau mit Regenschirm kann Bünemann nicht weiterhelfen. „Sie hat eine Psychose“, diagnostiziert der Arzt. Vermutlich denke sie sich Krankheiten aus, um Schmerzmittel zu erhalten. Auch wenn sie nichts bekommt, ist sie dankbar, dass es das Medimobil gibt: „Die sind immer nett, ohne sie wären wir hilflos.“

Christian Bünemann, Arzt

Das Mobil hat die Schloßbleiche erreicht. Ein junger Mann mit relativ lichtem Haar kommt herein. Er deutet auf seine Lippen und sagt, dass dort alles entzündet sei. „Ich weiss nicht, was das ist“, wiederholt er immer wieder. Mit seinen weit geöffneten Augen wirkt er kindlich und schüchtern. Bünemann untersucht ihn.

Er käme nicht so oft, weil es höchst unangenehm sei, zu erklären, was man hat, gibt er zu, während ein Mann mit kratziger Simme von draußen um „irgendwas fürn Kopp“ bittet. Der jungen Mann kann mit einem Medikament zurück in die Dunkelheit gehen.

„Wir machen das Richtige“, ist Krampen überzeugt. „Es ist ja nichts Spektakuläres“, meint Bünemann. „Und sei es, dass man ein bisschen mit den Leuten redet.“ Dann bricht das Medimobil zum Barmer Rathaus auf.