Pflegedienste: „Wir sind bereits am Limit“

Während Wuppertaler immer älter werden und länger zu Hause leben, schlagen die ambulanten Pflegekräfte vor Ort bereits heute Alarm. Sie klagen über zu wenig Personal und zu viel Bürokratie.

Foto: Stefan Fries

Alfred Krämer hat seit elf Jahren sein Schlafzimmer nicht verlassen. Der Fernseher läuft den ganzen Tag, damit der 71-Jährige, der unter dem Korsakow-Syndrom leidet, zumindest ein paar Stimmen hört. An den meisten Tagen ist der einzige menschliche Kontakt Nicole Sonnenschein vom ambulanten Pflegedienst. „Hallo“ sagt Krämer (Namen von der Redaktion geändert) und dann nichts mehr. Er wird gefüttert und bekommt seine Windeln gewechselt. In 25 Minuten ist Sonnenschein zur Tür hinaus — der nächste Patient wartet.

Krämer ist schließlich nur einer von rund 105 Menschen, die Alexander Scheyer mit seinem Pflegedienst versorgt. Er nimmt inzwischen, wie viele der rund 70 ambulanten Pflegedienste im Tal, keine neuen Aufträge mehr an. „Wir sind bereits am Limit“, sagt Scheyer, der Mitglied in der „Arbeitsgemeinschaft freie ambulante Krankenpflege Wuppertal“ ist und daher weiß: Nicht nur bei ihm ist die Situation angespannt.

Was Krämer besorgt: Die Menschen werden immer älter, sie sind dadurch auch immer kränker, sie sind in der Tendenz häufiger alleinstehend als früher und sie wohnen am liebsten in den eigenen vier Wänden. In Wuppertal lebten 2016 fast 31 000 Singles im Alter von 65 Jahren und älter. Die Zahl ist in einem Zeitraum von zehn Jahren um rund 5000 Menschen gestiegen. Alle Trends zeigen also in eine Richtung: Die ambulanten Pflegedienste werden in Zukunft stärker gefragt denn je.

Doch gleichzeitig wollen den Beruf des Pflegers immer weniger Menschen ausüben — zumindest nicht für das dazugehörige Gehalt. Marie Luise Adams, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft, berichtet: „Da gibt es junge Leute, die nach der Ausbildung direkt 3000 Euro brutto von mir wollen.“ Dabei verdiene ein Berufsanfänger eher um die 2100 Euro. Neben den ausgebildeten Fachkräften, die auch Medizin verabreichen dürfen, arbeitet in der Pflege ebenso ungelerntes Personal, dass sich nur auf die einfacheren — aber wichtigen — Arbeiten beschränken: Körperpflege, Einkäufe erledigen, die Wohnung putzen. „Selbst dafür finde ich niemanden“, sagt Adams. Erschwerend komme hinzu, dass lukrativere Arbeitgeber wie etwa die Krankenkassen Fachkräfte vom Markt abwerben.

Ein großes Problem im Alltag sei die Zeitnot, so klagen die Pflegedienste. Thomas Franken vom Anbieter Soleomobil nennt das Problem: „Das Vergütungsmodell passt nicht mit den Leistungen zusammen.“ So werden die Pflegedienste von den Krankenkassen pro erbrachter Leistung bezahlt — egal wie lange sie dauert. Eine „Ganzwaschung“ bringt etwa 19,63 Euro ein. Dazu gehört unter anderem das Baden, Zähneputzen, Rasieren und vieles mehr. „Das kann 20 bis 25 Minuten dauern. Wenn ich einen Schlaganfall-Patienten habe, brauche ich dafür aber bis zu 60 Minuten — es gibt aber das gleiche Geld“, sagt Franken. Kollege Alexander Scheyer winkt daher bei manchen Leistungen sofort ab. „Zubereitung von warmen Speisen“ biete sein Dienst gar nicht mehr an. „Da erwarten die Leute, dass wir Kartoffeln schälen und ihnen ein Kotelett braten“, sagt er. Vergütet wird die Leistung mit 6,91 Euro.

Was bei der Rechnung oft wegfällt: eine nette Unterhaltung. Franken sagt: „Und dabei ist genau das vielen Menschen ohne Angehörige am wichtigsten, weil sie sonst allein im Zimmer versauern.“ “ S. 16