Kirche Verzichten – die neue Normalität?
Kann man fasten, wenn der Verzicht zur Normalität geworden ist? Die Corona-Pandemie hält weiter an. Das Land befindet sich im zweiten Lockdown.
Kann man fasten, wenn der Verzicht zur Normalität geworden ist? Die Corona-Pandemie hält weiter an. Das Land befindet sich im zweiten Lockdown. Gastronomie und Einzelhandel – alles geschlossen. Kultur und Schulen – alles dicht. Die Fastenangebote der letzten Jahre erscheinen da als reiner Luxus. Erinnern Sie sich noch, wie da zu Heilfasten, Autofasten und Digitalfasten aufgerufen wurde? Das alles erscheint in Zeiten, in denen die Restaurants geschlossen haben, Fernreisen virusbedingt nicht angesagt sind und die digitale Kommunikation das Gebot der Stunde ist, unwirklich. Im Überfluss lässt es sich leicht fasten. Aber wenn der Verzicht nicht mehr freiwillig, sondern allgemein verordnet ist, dann kann man mit Fasten niemanden beeindrucken. Es ist ja nichts Besonderes mehr. Ist dieser Verzicht womöglich die neue Normalität, von der so viel gesprochen wird? Was glauben Sie denn?
Neu ist das alles nicht. Eigentlich kennt die christliche Tradition keine Fastenzeit. Die sieben Wochen vor Ostern werden deshalb bis heute in der römisch-katholischen Tradition als „österliche Bußzeit“ bezeichnet. Lediglich zwei Tage in dieser Zeit werden von alters her als Fast- und Abstinenztage begangen: Der Aschermittwoch und der Karfreitag. Beide Tage stehen in enger Verbindung mit der Erinnerung an den Tod: der Karfreitag ist der Todestag Jesu, am Aschermittwoch geht es um das Gedenken der eigenen Sterblichkeit. So ist auch in der Bibel das Fasten vorrangig Ausdruck der Trauer. Der Prophet Daniel etwa spricht: „In jenen Tagen hielt ich, Daniel, drei Wochen lang Trauer. Nahrung, die mir sonst schmeckte, aß ich nicht; Fleisch und Wein kamen nicht in meinen Mund; auch salbte ich mich nicht, bis drei volle Wochen vorbei waren.“ (Daniel 10,2f) Bestenfalls wird der Verzicht als Ausdruck der Bedürfnislosigkeit noch in der Erfahrung der Gegenwart Gottes erwähnt. Deshalb fastet Jesus vierzig Tage in der Wüste – ebenso wie Mose auf dem Sinai, als er die Tafeln mit den Worten des Bundes, den zehn Worten anfertigte. Einfach so fasten – das kennt die Bibel freilich nicht. Wie aber kommt es dann zur landläufigen Bezeichnung der Fastenzeit?
Neben der österlichen Bußzeit gibt auch eine weihnachtliche Bußzeit – den Advent. Auch sie wurde früher als Fastenzeit begangen. Während aber das Frühjahrsfasten bis heute im wellnesskundigen Bewusstsein verankert ist, hat sich das vorweihnachtliche Fasten irgendwo zwischen Dominosteinen und Glühwein verflüchtigt („gefastet“ wird jetzt eher nach Neujahr ...). Dabei liegt hier ein entscheidender Hinweis auf dem Hintergrund mitteleuropäischer Fastenkultur. In jenen Zeiten, als die Kunst der Vorratshaltung noch mehr Wissen voraussetzte als die Bedienung eines Dosenöffners, waren sowohl der Beginn des Winters als auch dessen Ende kritische Zeiten. Am Beginn galt es, verzichtend hauszuhalten, um die Vorräte über die kalten Monate zu bringen, an deren Ende sie zur Neige gingen. Verzichten war am Anfang eine Frage der Vernunft, am Ende eine unausweichliche Notwendigkeit. Der Verzicht fällt leichter, wenn man weiß, wofür man es tut. Die Vernunft am Winteranfang wird durch die Spiritualisierung am Winterende ergänzt: Wer für Gott und sein Seelenheil verzichtet, hungert immer noch – aber jetzt mit Sinn! Das Unausweichliche wurde so begreifbar.
Das Unausweichliche ist auch jetzt wieder aktuell. Der Verzicht ist allgegenwärtig: Verzicht auf Konzerte, Verzicht auf Restaurantbesuche, Verzicht auf soziale Nähe usw. usw. Zwar knurren keine Mägen, stattdessen hört man es murren: Es muss ein Ende haben mit dem Verzicht!
Die Weisheit der Altvorderen könnte hier helfen, indem wir dem Verzicht einen Sinn geben. Das Seelenheil mag es für viele nicht mehr sein, das gesundheitliche Heil für viele aber vielleicht schon. Halten Sie durch! Auch das längste Fasten hat irgendwann ein Ende. Dann werden wir aufstehen und das Leben feiern!