Kriminalität Autocrasher: Wenn das Opfer in Wirklichkeit der Täter ist

Wuppertal · Der Wuppertaler Polizist Ralf König ist ein Experte auf dem Gebiet manipulierter Verkehrsunfälle.

 Ein typisches Unfallfoto. Doch in einigen Fällen hat das vermeintliche Opfer den Zusammenprall provoziert, um abzukassieren.

Ein typisches Unfallfoto. Doch in einigen Fällen hat das vermeintliche Opfer den Zusammenprall provoziert, um abzukassieren.

Foto: picture alliance / dpa-tmn/Robert Schlesinger

Wer in seinem Autofahrerleben schon einmal in einen Unfall verwickelt war, der kann sich auch Jahre später noch intensiv an den Unfallort, das Wetter oder alle Beteiligten erinnern. Allerdings gibt es Ausnahmen am Steuer, vor denen die Polizei warnt. Da ist zum Beispiel ein junger Mann, dem innerhalb von wenigen Monaten an der Kreuzung am Elberfelder Burger King gleich fünfmal die Vorfahrt genommen wurde. Oder war das vermeintliche Opfer der Täter? Der Verdacht liegt nahe, denn Blechschäden scheinen den Mann nicht davon abzuhalten, weitere Runden um den Block zu fahren. Es handelt sich offenbar um ein einträgliches Geschäft.

Polizeikommissar Ralf König ist seit Jahrzehnten sogenannten Autocrashern auf der Spur und gibt sein Wissen über die Methoden von Einzeltätern und Banden in Schulungen und Tagungen an seine Kollegen bundesweit und an Schadensabwickler der Versicherungen in Deutschland und Österreich weiter. Da jeder Unfall zunächst einmal als Einzelfall wahrgenommen wird, fällt eine Häufung von Auffälligkeiten bei Blechschäden so schnell nicht auf. Daher hält es König für besonders wichtig, seine Kollegen zu sensibilisieren, damit sie bei der Unfallaufnahme die richtigen Schlüsse ziehen und falls nötig Verdacht schöpfen. Und dieser Verdacht erhärtet sich oft beim Blick in die Akten.

Provozierte und
fingierte Unfälle

„Wir unterscheiden zwischen den provozierten und den fingierten Unfällen“, sagt Ralf König. Nimmt man die Fälle hinzu, bei denen die Reparaturen bewusst falsch abgerechnet werden, machen sie insgesamt rund zehn Prozent aller Versicherungsfälle aus und richten einen immensen Schaden an. Bei den fingierten Unfällen arbeiten oft Netzwerke zusammen, die nur bei der Analyse einer Reihe von Fällen sichtbar werden, wenn immer wieder die gleichen Namen auftauchen.

König nennt als Beispiel einen Fall, bei dem ein Fahrer mit seinem Fahrzeug einen geparkten Porsche seitlich beschädigt hat. „So etwas passiert in Barmen um 3 Uhr nachts, wenn es keine weiteren Zeugen gibt. Verdächtig ist das Unfallbild. Es gibt da nicht die eine Stelle, an der das Auto gerammt wird, sondern der Fahrer ist praktisch vom Heck bis zur Vordertür durch das Auto gefahren. Das ist untypisch, denn wenn es kracht, dann sorgt das für Adrenalin und man steigt auf die Bremse.“ Bei dem beschädigten Fahrzeug handelt es sich um einen Porsche, an dem das Pech zu kleben scheint. Wie ein Studium der Akten belegt, wurde das Traumauto („das ist für die Täter kein Liebhaberstück“) in wenigen Monaten fünfmal gerammt. Bei geschätzten Reparaturkosten von 3000 bis 4000 Euro pro Crash forderten die Betrüger rund 100 000 Euro über die Versicherung ein.

Zu Beginn der 1990er Jahre gehörte Ralf König einer Ermittlungskommission der Polizeibehörde Wuppertal an, die speziell auf provozierte oder fingierte Unfälle angesetzt war. Mit Erfolg, denn es sprach sich in der „Autobumser-Szene“ herum. Das ließ die Unfallzahlen im Bereich der Polizeibehörde bis 1994 von 25 000 auf 20 000 sinken. Inzwischen ist König Einzelkämpfer, aber dafür gibt er sein Wissen an die Wuppertaler Polizisten weiter, die auf Streife zuweilen Menschen vorfinden, die sich am Unfallort als vermeintliche Opfer inszenieren.

„Die Täter gehen bei provozierten Unfällen oft sehr skrupellos vor, riskieren die Gesundheit aller Beteiligten. Neben dem finanziellen Schaden trifft es die eigentlichen Opfer hart, denn deren Versicherung stuft sie hoch, eventuell gibt es Punkte in Flensburg und die Fahrerlaubnis ist weg“, sagt Ralf König. Hinzu komme der Frust, betrogen worden zu sein. Und auch wenn die Aktenlage mit einer Häufung solcher Fälle einen Verdacht nahe lege, müsse den Tätern jeder einzelne Fall mit Indizien oder Zeugenaussagen nachgewiesen werden.

2001 hat Ralf König das Buch „Manipulierte Verkehrsunfälle: Leitfaden für die polizeiliche Praxis“ geschrieben. Die Methoden der Täter haben sich seitdem in Details verändert, das Prinzip ist gleich geblieben. Auf Kosten der Allgemeinheit werden Versicherungen abgezockt, was sich auf lange Sicht in höheren Beiträgen für alle Versicherten niederschlägt. Der Schaden soll sich pro Jahr auf 1,3 Milliarden Euro belaufen.