Was ist da los? (4): Der Schusterplatz als Gartenersatz am Ölberg
Vor allem Familien mit Kindern lieben den Platz — und sogar „Herr Pauli“, die Schildkröte, fühlt sich dort wohl.
Ölberg. Ungewöhnlich still ist es an diesem Samstagmittag auf dem Schusterplatz. Nur der Wind bewegt sachte zwei Schaukeln am Spielplatz und pustet ein paar vertrocknete Blätter und Abfallreste über den kreuzförmig angelegten Gehweg, der mitten über die kleine Anlage führt. Die beiden Klettergerüste sind unbevölkert, die teils mit Kreide bemalten Holzhäuschen lassen Spuren einer abendlichen Zusammenkunft erkennen, übrig gebliebene Bierdeckel, teils zerrissen. Die aktuell einzige Person auf dem Areal hat es sich auf dem hügeligen Rasen gemütlich gemacht.
Im Schneidersitz hockt sie auf einer bunt gehäkelten Decke, neben sich einen mit rotem Stoff ausgelegten offenen Schuhkarton und ein Getränk. In der Hand hält sie ein Buch: „Endlich Nichtraucher“. In das ist sie vertieft, bis sie angesprochen wird. „Normalerweise ist es hier viel voller“, sagt die 26-Jährige. Sie kann das beurteilen, Saskia Stiefeling wohnt nur einen Steinwurf weit entfernt und besucht den Schusterplatz in den Schönwettermonaten jeden Tag. „Das ist mein Garten-Ersatz“, sagt sie. Dann hebt sie eine Ecke ihrer Unterlage an, so dass „Herr Pauli“ zum Vorschein kommt: eine drei Jahre alte Landschildkröte.
Herr Pauli rupft mit seinem Schnabel ein wenig Klee und hält sich dicht bei seiner Besitzerin. Möglicherweise befürchtet er, die Aufmerksamkeit der Kinder auf sich zu ziehen, die sich nach und nach auf dem Gelände einfinden — bisher in sicherer Entfernung. „Die freuen sich immer, wenn sie ihn sehen“, sagt die 26-Jährige. Gerade scheint das Risiko gering.
Die sechsjährige Yelda genießt es lieber, auf der Schaukel zu schwingen, während Vater Ali mit ihrem Bruder Merdan (3) Fußball spielt. Gut, dass der Platz umzäunt ist, denn der Junge zielt mit einem beherzten Kick Richtung Straße.
Von gegenüber sind Freudenrufe zu hören: Anna, Melissa und Lara vergnügen sich auf der Drehscheibe. Anna (9) läuft nach Kräften auf dem Gerät, bringt es zum Kreiseln, das Geschwisterpaar Lara und Melissa, elf und zehn Jahre alt, versuchen, sich möglichst lange darauf zu halten. Irgendwann siegt die Fliehkraft, und sie werden mit lauten Jauchzern in den Sand geschleudert.
„Wir lieben es, zu fliegen“, ruft Lara mit leicht schwindeligem Blick. Seit acht Jahren leben die Geschwister auf dem Ölberg, der Spielplatz ist einer ihrer Lieblingsorte. Das gilt wohl auch für die immer zahlreicher werdenden Besucher an diesem Tag. Meist sind es Familien mit jungen Kindern, die ihren Nachwuchs klettern, rutschen und schaukeln lassen, mit mitgebrachtem Sandspielzeug experimentieren oder sich auf den Bänken im Schatten der Linden entspannen. „Hier kann man immer mal hin und Kraft tanken“, sagt Jochen Schultz.
Oder etwas ernten: Am Rande des Geschehens steht ein bunt angestrichenes Konstrukt aus kleinen Holzpaletten, in dem grüne Kunststoffkisten stehen. Unter anderem Kürbis- und Erdbeerpflanzen wachsen aus der nassen Erde. Bis zu den nächsten Früchten dauert es allerdings noch.