Ibrahim Ismail: Vom Flüchtling zum Vorbild in Vohwinkel

Ibrahim Ismail arbeitet im Quartier Höhe mit jungen Migranten. Sein Rezept: Strenge und Respekt – das kommt an.

Vohwinkel. Alle Menschen sind gleich, aber die meisten haben das Bestreben, gleicher zu sein. Das führt im Umkehrschluss zu Verlierern - und weckt vielerorts den Wunsch, früh die vermeintliche Spreu vom Weizen zu trennen.

"Das dreigliedrige Schulsystem selektiert, sonst nichts", sagt der knapp 30 Jahre alte Ibrahim Ismail. Er ist Sportpädagoge, Diplomsportwissenschaftler und Streetworker. Bereits 2005 hat er in sozialen Brennpunkten Vohwinkels mit dem Projekt "Neue Wege" begonnen, das von Stadt und Diakonie gefördert wurde, bis die Gelder ausgingen.

Inzwischen erhielt Ismail für seine Arbeit einen Universitätspreis und den Rotarier-Preis und blickt einem Lehrauftrag an der Uni Bochum entgegen.

Ismails Bedingung damals, als er in Vohwinkel anfing: völlig autonom handeln zu dürfen. Das kann nicht weiter verwundern, denn wer sein Projekt zur Förderung vor allem junger, männlicher Migranten durch die Brille herkömmlicher Sozialarbeit betrachtet, wird äußerste Skepsis entwickeln.

Freilich kann diese herkömmliche Arbeit längst nicht so durchschlagende Erfolge vorweisen. In den gängigen Einrichtungen würden die Jugendlichen zwar bespaßt, aber das könne nicht das Ziel sein, meint Ismail. "Kuschelpädagogik taugt nicht bei dem Elan dieser Jugendlichen. Da ist Flexibilität gefordert."

Was der gebürtige Libanese über die Anfänge seiner Arbeit erzählt, klingt abenteuerlich. Im Quartier Osterholz hatte er Jugendlichen eine Art paramilitärische Ausbildung in Aussicht gestellt.

Statt ihnen seinen Namen zu verraten und ein neues Treffen auszumachen, ließ er sie über Wochen im Ungewissen. Als er schließlich wieder aufkreuzte, wurde er mit Flehen überschüttet.

"Was kriege ich denn dafür, wenn ich euch was zeige?", wollte Ismail wissen. Es seien rührende Angebote gekommen, einer wollte sogar etwas kochen.

Aber "Ibi", wie ihn alle nennen, wollte mehr. Er brauchte solide Insiderinformationen über den Stadtteil, um zu wissen, wo sich kriminelle Aktivitäten entfalteten.

Die Jugendlichen entwickelten Vertrauen zu ihm - weil er mal einer von ihnen war, und weil er sie auf eine Art ansprach, die sie verstanden. "Fordern und damit Achtung zeigen, nicht fördern", das ist Ismails Devise.

Gefordert waren die Jugendlichen aber bald nicht nur bezüglich der Stadtteil-Infos. Wie beiläufig erzählte Ismail ihnen über den Boxer Muhammad Ali, um das Gespräch sogleich wieder zu beenden.

Abermals waren die Zuhörer fasziniert und wollten mehr wissen. So erzählte "Ibi" bald auch von Che Guevara und behauptete dann: "20 Prozent von dem, was ich gesagt habe, ist gelogen."

Und was? Das mussten die Jugendlichen schon selbst herausfinden und haben dazu erstmals im Leben eine Bibliothek aufgesucht.

Da für Ismail Sport der wichtigste Schlüssel zu den Jugendlichen ist, mit denen er arbeitet, kam er schließlich auch auf die "Einzelkämpferausbildung" zurück. "Top secret" sei das Treffen im Wald, wo seine jungen Freunde über den Umgang mit Karten und Kompass plötzlich auch eine Nahtstelle zwischen Theorie und Praxis fanden.

Dass "Ibi" ihnen im Anschluss gestehen musste, es sei alles keine paramilitärische Ausbildung, sondern ein stinknormaler Orientierungslauf, störte keinen mehr. Die Jugendlichen hatten einzig Angst, die Sache könne bald enden.

Dass sie nun aber Anfang und Ende selbst in der Hand hatten, war die krönende Einsicht. "Die Ziele waren vorher definiert. Etwas anderes müsst ihr mit eurem Leben auch nicht tun."

Ismail konnte weder wissen, dass seine Jugendlichen sich das Ziel Abitur stecken würden - noch, dass einige dies sogar schafften.