Logbucheintrag 0.49 Utopiastadt-Kolumne: Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser

Wuppertal · Förderrichtlinien, Flächennutzungsplan, Spielstättenverordnung, Prüfverfahren – wir haben viele Formen, uns gegenseitig zu kontrollieren.

Kreative Experimente brauchen gute Dokumentation.

Foto: Dimitrij Haak

Das ist oft nützlich, meist sinnvoll und gelegentlich sogar hilfreich. Leider ist es in der Praxis fast immer das genaue Gegenteil von Experiment, Spielfreude, Versuch und Fehler, Wandel oder Kreativität. Heute behaupte ich, dass das nicht so sein muss.

Der Unterschied liegt in der Haltung hinter der Handlung: Kontrolliere ich, weil zwei Augenpaare mehr sehen, als eines, und tu ich dies im ernsthaften Vertrauen, dass die oder der zu Kontrollierende schlicht im Sinne der Sache handelt, ist es vollkommen anders, als wenn ich rein auf formale Richtigkeit oder im schlimmsten Falle gar aus Angst vor Übervorteilung kontrolliere. Umgekehrt ist es ein großer Unterschied, ob ich mich mit einem verantwortlichen Blick für Probleme und Fallstricke des Neuen in ein Experiment stürze, oder ob ich völlig fahrlässig irgendwelchen Fantastereien folge, komme was wolle. Kurz: Ein System zwischen Freiheit und Kontrolle ist meines Erachtens dann richtig justiert, wenn es auf Verantwortung und Vertrauen basiert, nicht auf Leichtsinn und Misstrauen.

Mir scheint, dass wir gesellschaftlich zu oft in die zweite Richtung schlendern. Vermutlich nicht einmal vorsätzlich, eher aus Bequemlichkeit, in der wir die Sicherheiten unserer Überflussgesellschaft für gegeben halten. Und dabei scheint mir sogar das Misstrauen noch über den Leichtsinn zu wuchern. So gibt es kaum freudvolle Freiräume – wenn diese nicht engagiert und gemeinschaftlich erarbeitet werden. Utopiastadt ist für mich so ein Ort. Es gibt weitere: B-Side in Münster, kitev in Oberhausen oder #Rosenwerk in Dresden. Der Konglomerat e.V., Betreiber des Rosenwerks, hat 2019 eine sensationelle Konferenz in Dresden veranstaltet, zu der Stadtmacher aus dem ganzen Land zusammenkamen, um gemeinsam an nachhaltiger Gemeinwohlentwicklung in den Städten zu arbeiten. Überschrieben war die Konferenz mit dem Begriff „Zukunftsschutzgebiete“.

Ein Begriff, der mir seither Leitbild für Stadt- und Gesellschaftsentwicklung ist. Denn ich habe durchaus konkrete Vorstellungen von einer Gesellschaft der vertrauensvollen Gegenseitigkeit. Aber in einer Welt voller selbstbezogener Konkurrenz-Strukturen bin ich auf Orte angewiesen, in denen wir Vertrauen auf Verantwortung ausprobieren können. Zukunftsschutzgebiete.

In diese gehe ich mit größtmöglichem Vertrauen hinein. Und verteidige sie jederzeit mit Leidenschaft gegen eine Kultur der misstrauischen Kontrolle. Nicht um irgendwas zu verbergen, im Gegenteil. Sondern weil ich Misstrauen für ein gesellschaftliches Grundübel halte, das unweigerlich in destruktive Kontrollsysteme führt. Eine Kultur des Vertrauens hingegen schafft überhaupt erst die Grundlage, gemeinsame Verantwortungsstrukturen erlernen, aufbauen und tragen zu können.

Entsprechend hoffe ich, dass es uns zunehmend gelingt, mehr Vertrauen vor einer Kontrolle zu wagen. Nein, hoffe ich gar nicht. Ich vertraue darauf.