Vertonte Poesie über Fremde in der Heimat
Sound of the City-Festival der Oper widmet einen Abend der Dichterin Else Lasker-Schüler.
Gefühle lassen sich auf vielfältige Art ausdrücken, lassen sich in Worte fassen, in Musiknoten verwandeln, in Farben umsetzen, in Ton brennen. Die Expressionisten fanden Anfang des vergangenen Jahrhunderts einen besonders ausdrucksstarken Weg. Eine von ihnen war die Wuppertalerin Else Lasker-Schüler. Mehr als 450 Komponisten haben die Werke der bedeutenden deutsch-jüdischen Dichterin vertont. Und doch wurde sie verfolgt, verlor die fremd gewordene Heimat. Am Mittwoch wurde ihr der Abend „Heimat.Fremde“ gewidmet, der im Rahmen des Opern-Festivals „Sound of the City Teil 2: Copyright Heimat“ im stillgelegten Schauspielhaus an der Kluse stattfand. Ein gefühlvoller Abend der künstlerischen Extraklasse in einem vertrauten und zugleich fremden Ambiente.
Bei den Vorbereitungen war Festivalkurator Immo Karaman auf die vielen Vertonungen zu Gedichten von Else Lasker-Schüler gestoßen. Bei der Wuppertaler Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft fand er in Karl Bellenberg, der dazu gerade eine Doktorarbeit anfertigt, einen Experten. Gemeinsam mit dem musikalischen Leiter des Festivals, Johannes Pell, wurden gut 15 Gedichte und ihre persönlichen musikalischen, zum Teil noch nicht aufgeführten Interpretationen für einen besonders intensiven Abend „im Sinne von Melancholie und Expressivität“ ausgesucht.
Die fünf Sängerinnen und Rezitatorinnen und neun Musiker boten großes Kino mit Gänsehautfaktor, mit Verzweiflung, Trauer, Dramatik. Nutzten die improvisierte Bühne, die vielfältigen Treppen im Foyer des Schauspielhauses zu ausdrucksstarken Auftritten. Mal leiser, mal lauter, pointiert, fast schrill und wieder zart wurde zur Musik aus der Feder von sieben ausgewählten Komponisten (Brunhilde Sonntag, Ulrich Klan, Ferdinand Henkemeyer, Thomas Beimel, Wolfgang Schmidtke, Paul Hindemith, Wolfgang Rihm) gesungen. Musik, die die Worte und ihren besonderen Rhythmus verstärken, ihre Eindringlichkeit betonen und weiterentwickeln. Einige Gedichten wurden mit zwei Vertonungen vorgetragen, was interessante Vergleiche erlaubte.
Lasker-Schülers Lyrik geht unter die Haut: „Mein stilles Lied“, „Aus der Ferne“, „Ich bin so allein“, „Weltflucht“ heißen einige ihrer Gedichte. Allseits bekannte Sätze stammen aus ihren Gedichten: „Es pocht eine Sehnsucht tief an die Welt, an der wir sterben müssen“ (1905 in „Weltende“); „Die Heimat fremd, die ich mit Liebe überhäufte“ („Aus der Ferne“ 1932); „Wo soll ich hin, wenn kalt der Nordsturm brüllt?“ (1934 aus „Die Verscheuchte“).
Als Else 1869 als jüngstes von sechs Kindern des Ehepaars Schüler in Elberfeld zur Welt kam, ahnte niemand, dass sie berühmte Schriftstellerin und Malerin werden sollte. Eine der besten Dichterinnen Deutschlands im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Eine Exzentrikerin, die bald in der Berliner Bohème zuhause war. Sie war zweimal verheiratet, ihr einziges Kind Paul starb mit 28 Jahren. Lasker-Schüler wurde Opfer der Nazis, lernte Verfolgung, Exil und Not kennen, gab dennoch ihr unangepasstes Leben nie auf. Sie starb 1945 in Jerusalem.
Das Leben der Künstlerin steht für Heimat-Losigkeit, für Entfremdung und Fremde, für die Verzweiflung, die damit verbunden ist. Julia Reznik vom Wuppertaler Schauspielensemble gab gleich mehreren Gedichten ihre Stimme, durfte an diesem Abend auch als Sängerin glänzen, die sich neben den Solistinnen der Oper, Ralitsa Ralinova, Nina Koufochristou und Joyce Tripiciano, sowie der Gast-Sängerin Uta Christina Georg von der Hochschule für Musik und Tanz zu behaupten wusste. Begleitet wurden die stimmgewaltigen Frauen durch das einfühlsame Spiel der Studenten der Hochschule für Musik in Wuppertal.
Die Zuhörer folgten konzentriert, lasen die ausgeteilten Texte mit — ergriffen und nachdenklich. Dankten mit lang anhaltendem Applaus.