Über die Freundschaft zu Else

Ingrid Stracke ist in Wuppertal als „Straßen-Else“ bekannt. Nun hat die Lyrikerin ihren ersten Roman veröffentlicht.

Foto: Uwe Schinkel

Die Augen blicken lebhaft aus dem fein geschminkten Gesicht. Das Kopftuch, ihr Markenzeichen, aus dem ein schwerer Ohrring herabhängt, schmiegt sich um den Kopf. Ihre Hände gestikulieren lebhaft zu den Worten, die sie mit ihrer prägnanten, zum Zuhören einladenden Stimme spricht. Nur der Körper will nicht mehr ganz so, wie sie will, das geliebte Tanzen klappt nicht mehr. Kein Wunder, wird Ingrid Stracke doch dieser Tage 80 Jahre alt. Als „Straßen-Else“ ist sie in der Stadt bekannt — weil sie bei der Denkmalseinweihung ihres Vorbilds Else Lasker-Schüler 1989 am Kasinokreisel in Elberfeld auftrat. In ihrem ersten Buch, das gerade erschienen ist, schreibt sie, wie sie damals auf der Straße ihre Texte über die verehrte Lyrikerin (1869 bis 1945) vortrug, weil man sie zur offiziellen Feier nicht geladen hatte. Es ist ein Buch über die Biografien zweier „Wuppertaler Schreibfrauen“, Lasker-Schüler und Stracke, ein Buch über das Schreiben.

Else Lasker-Schüler war ihre erste Freundin, nachdem Ingrid Stracke 1962 durch ihre Heirat nach Wuppertal gekommen und zunächst ziemlich einsam war. „Mein Vater wusste um mein Faible für Gedichte und nannte mir drei Namen zu Wuppertal: Engels, Lassalle und Lasker-Schüler.“ In der Bücherei fand die junge Frau Bücher der berühmten Lyrikerin, entdeckte diese für sich. „Ich dachte: ’Ja, die ist es.’ Ich hatte nach einer Freundin gehungert und sie gefunden.“ Stracke begann, wie ihre Mentorin, zu schreiben.

Eine Lehrerin der Literaturwerkstatt der Volkshochschule vermittelte Stracke Ende der 70er Jahre das Handwerkszeug. „Sie hat mir gesagt, wie es gehen könnte. Und ich konnte es“, erinnert sich die Wuppertalerin. „Ich konnte in vier Minuten einen 15-Zeiler wie in einem Wurf gebären. Das ist wie ein Liebesspiel, das gelungen ist, wie in Trance — wie bei Else Lasker-Schüler“, erzählt Stracke und strahlt. Zugleich ist sie überzeugt, dass „Schreiben wehtun muss, sonst ist es nicht wahrhaftig“.

Nicht nur das Schreiben verbindet Stracke mit ihrem Vorbild, ihrer großen Sehnsucht. Da ist die Zivilcourage, das politische Engagement, der Widerstand gegen den Nationalsozialismus: „Lasker-Schüler wurde verjagt, lebte im Exil in der Schweiz, Italien und Palästina. Meine Mutter wurde von der Gestapo abgeholt. Sie verlor Heimat und Freunde, ich verlor meine Mutter“, erklärt Stracke. Und weiter geht es. „Wir beide hatten viele Liebesgeschichten“, lacht die dreifache Mutter und fünffache Großmutter herzlich. Und doch gibt es Trennendes, Dinge, die sie ablehnt. Etwa die religiöse Seite und die Geschäftstüchtigkeit von Lasker-Schüler, die sich stets gut vermarktet habe, sind ihr fremd.

„Vom bunten Schweigen, Singen und Sagen“ ist das Buch betitelt, darunter das Bild der Autorin — von einem Verehrer gemalt, der seinem Bild die Widmung „und ab und zu ein buntes Schweigen“ gegeben hat, nicht zuletzt weil Ingrid Stracke hier ein buntes Kopftuch trägt. Auch die auffallende Kleidung verbindet sie mit Lasker-Schüler, die „ganz verrückt und kunstvoll gekleidet“ gewesen sei. „Wir beide wollen uns nach außen darstellen, wollen auffallen“, sagt Stracke und verrät, dass der Maler des Bildes auch im Buch „versteckt“ sei. Und weil Sprache für sie wie Musik, Buchstaben wie Noten sind, steht im Buch-Titel noch das Wort Singen.

Der Roman ist natürlich mehr Strackes eigene Biografie als die ihres Vorbilds. Er enthält natürlich auch Gedichte und ist ein Schatz einzelner Erzählungen, die vieles über die Stadt Wuppertal und ihre Menschen verraten. Stracke empfiehlt dem Leser, sich einzelne Kapitel nach Interesse auszusuchen und einfach querbeet zu lesen.

Ist nun alles auserzählt? Mitnichten. Die Autorin will bei kleinen Events „wahre Geschichten“ vortragen. Eine konkrete Lokalität wird noch gesucht. Vorlesen würde sie auch gern: Zum Geburtstag wünscht sie sich „eine Lesung mit Honorar“.