Volkskrankheit Demenz: Eine Kampagne gegen die Scham
Ein breites Bündnis möchte die Volkskrankheit mit Hilfe von Plakaten im Bergischen Land in die Öffentlichkeit rücken und so mit einem Tabu brechen.
Wuppertal. Nachdenklich und traurig schauen sie von den Plakaten, teilweise gar verbittert. Und vor ihnen stehen auch noch harte Worte wie „peinlich“, „abgeschoben“, „versagt“, „wütend“ oder „lästig“. Es sind ungewöhnliche Werbeposter, die in Wuppertal, Remscheid und Solingen hängen. Passanten stehen fragend davor. Autofahrer, die an der Ampel auf die nächste Grünphase warten, wissen ebenfalls nicht, wie sie die Kampagne einordnen sollen.
Exakt diesen Effekt hatte sich Marion Roemer erhofft. Roemer gehört zur Wuppertaler Werbeagentur „roemer und höhmann“. Sie steckt hinter der Kampagne, die das Thema Demenz in den „Fokus der Öffentlichkeit“ rücken und zum Nachdenken anregen will. Die die Volkskrankheit, die langsam, aber sicher zu einem Verlust der geistigen, emotionalen und sozialen Kompetenzen führt, endlich offensiv ansprechen möchte.
„Wir wollen etwas bewegen“, sagt Roemer, die von einem „inneren Anliegen“ spricht. Deshalb wartete sie auch nicht auf einen externen Auftrag, sondern wurde von sich aus aktiv, „weil Design im sozialen Bereich bislang immer vernachlässigt wurde“. Dabei brauche gerade ein wichtiges Thema wie Demenz, an der allein im Bergischen mehrere zehntausend Menschen leiden, eine professionelle Aufklärungskampagne.
Dankbar für derlei eigenes Engagement waren das Demenzservice-Zentrum Bergisches Land, die Evangelische Stiftung Tannenhof und die Diakonie im Rheinland. Gemeinsam mit „roemer und höhnmann“ und der Wuppertaler Filiale der Thalia-Buchhandlung bilden sie nun das breite Bündnis für einen offeneren Umgang mit Demenz.
„Wir wollen den Blickwinkel auf die Krankheit verändern und unterdrückte Gefühle visualisieren“, erklärt Uwe Leicht, Vorstand der Evangelischen Stiftung Tannenhof. Das gilt für die Betroffenen, die sich nicht länger aus Scham in die Einsamkeit zurückziehen sollen. Das gilt aber umso mehr für die Angehörigen, die häufig mit der Situation überfordert seien.
Deshalb sind auf den Plakaten Angehörige von ehemaligen Demenzerkrankten zu sehen. Menschen, die nicht mehr weiter wussten. Menschen, die sich mit dem Thema nicht in die Öffentlichkeit trauten. Menschen, die im Umgang mit Vertrauten, von denen sie nicht mehr wieder erkannt wurden, versagten.
„So ergeht es vielen Angehörigen“, erklärt Monika Wilhelmi, Leiterin des Demenzservice-Zentrums, die deshalb den Demenz-Parcours in der Buchhandlung Thalia entwickelte. Dieser soll gesunden Menschen an zwölf Stationen die Krankheit simulieren. „Über Spiegel und andere Hilfsmittel wird das Gehirn ausgetrickst. Einfachste Alltagsrituale funktionieren auf einmal nicht mehr“, erklärt Wilhelmi, die den Angehörigen so viel besser als über Vorträge vermitteln könne, was ihr Gegenüber fühlt.
Sätze wie „jetzt verstehe ich erst“, höre sie nun häufig. Es ist ein erster kleiner Schritt. Ein Schritt hin zu einem offenen Umgang mit einer Volkskrankheit.