Premiere Von der Integration zwischen Kampfesmut und Resignation
Wuppertal · Die Uraufführung des Stücks „Lange Schatten unserer Mütter“ von Safeta Obhodjas wurde in der Börse gefeiert.
Ein Haus sagt viel über seine Bewohner aus. Steht für Heimat, Zugehörigkeit und Gastfreundschaft ebenso wie für Ausgrenzung und Kälte. Ein Haus kann marode oder gut in Schuss sein wie die Beziehungen und das Leben der Menschen. „In Mutters Stübele ... da geht der Wind“ stimmt die Frau, die allein im Dunkel der Bühne sitzt, ein altes Volkslied an. Bedrückendes Ende des Stücks „Lange Schatten unserer Mütter“, das am Wochenende in der ausverkauften Börse uraufgeführt und begeistert gefeiert wurde.
Energisch strebt die junge Frau an den vorderen Rand der Bühne. Sie trägt modische Hosen und Pumps, darüber einen geöffneten, weißen Kittel. Dilara ist Apothekerin, lebt in einer modernen Gesellschaft, in der Mann und Frau gleichberechtigt sein sollen. Unten am dunklen Bühnenrand sitzt ihre ältere Schwester Zeyneb mit Kopftuch, langem Rock und flachen Schuhen züchtig und aufrecht auf einem Stuhl. Sie hört mit steinernem Blick die Worte der Jüngeren, die ihre Befreiung aus den konservativen Familienstrukturen bejubeln. Eine Tradition, die Zeyneb wiederum vehement vertritt, auch wenn sie in eher ärmlichen Verhältnissen lebt und der Karriere ihrer Schwester nur den Stolz auf den Sohn, den sie wie einen Pascha erzieht, entgegenzusetzen hat. Beginn einer intensiven Auseinandersetzung um das Leben muslimischer Frauen in Deutschland zwischen Tradition und Integration. Eine Auseinandersetzung, die zeigt, dass es keine einfachen Antworten und nicht den einen richtigen Weg gibt.
Ein Haus kann marode sein wie die Beziehungen der Menschen
Safeta Obhodjas, die als Muslimin in Bosnien aufwuchs und seit den 90er Jahren in Wuppertal lebt, hat „Lange Schatten unserer Mütter“ geschrieben. Das Stück basiert auf einer Ausstellung, die sie 2015 zusammen mit der Fotografin Petra Göbel gestaltete: Obhodjas führte Interviews mit jungen Akademikern und ihren Müttern, Goebel hielt beide im Bild fest. In ihrem Theaterstück sind die Monologe der Frauen zentrales Stilmittel. Sie erzählen ihre Leben, reden aneinander an und doch aneinander vorbei, wenden sich direkt ans Publikum, stolz und zunehmend verzweifelt.
Die Geschichte entspinnt sich um den anstehenden Nachhilfeunterricht der Zwillinge Zeynebs, den Dilaras Mann, ein Lehrer, geben will. Ein Angebot, das diese nur für den Sohn, nicht aber für die Tochter annimmt. Weil sie Aida nicht an Dilara verlieren, sondern in eine vermeintlich wohlhabende, traditionelle Familie verheiraten will. Dilara wiederum kann das nicht akzeptieren, rebelliert erneut – und scheitert. Zwar kommen Aida und Ismet zum Unterricht in ihre Familie, doch kommt es dort zum Eklat, der vor Augen führt, dass Integration ein heikler Balanceakt ist. „Ich wusste, dass wir feige sind, dass wir es falsch machen würden“, resigniert Dilara und setzt sich auf den Stuhl, den anfangs ihre Schwester belegte. Zeyneb dagegen hat sich während des Stücks in eine Braut verwandelt und nimmt an einer langen Festtafel Platz.
Silvia Munzón López (Dilara) und Marina Matthias (Zeyneb) fühlen sich glaubhaft in ihre Rollen ein, die Zuschauer können ihre Zerrissenheit nachempfinden. Torsten Krugs Inszenierung arbeitet mit ausdrucksvollen Mitteln. Er hat neun Frauen des Chors „Women of Wuppertal“ hinzugeholt, die in folkloristische Gewänder gekleidet, vielsprachige Volkslieder anstimmen, schweigende Traditionsgesellschaft, Familie oder Echo, am Ende Zeynebs Festgesellschaft sind. An einem langen Tisch (Ausstattung Manfred Marczewski) sitzen, der eher Barriere und leerer Mittelpunkt ist. Die Zuschauer drumherum.
Der Schatten der Mütter ist kühl und lang. „Ich muss erfrieren drin ... mit meinem Kind“ heißt es im Volkslied weiter.