Erlebnisbericht Angekommen in Schweden
Der ehemalige Wuppertaler Lehrer lebt seit einem Jahr in Göteborg.
Unglaublich, wie schnell die Zeit vergeht. Jetzt leben wir schon ein Jahr in Schweden. Zeit für eine Bilanz. Natürlich gab es Tiefpunkte, und diese Tiefpunkte hängen mit den Höhepunkten in Wuppertal zusammen. Dort war ich zuletzt an der Pina-Bausch-Schule und hatte wahrscheinlich zum ersten Mal überhaupt das Gefühl, richtig im Lehrerberuf angekommen zu sein. Weil ich so sehr an meiner alten Schule hing, war die monatelange Jobsuche in meiner neuen Heimat nicht nur unangenehm, was Jobsuche in meinem Alter (49) immer ist, sondern die Hölle.
In Wuppertal war es auch, wo ich die Liebe zum Taekwondo-Sport wiederentdeckt habe. Tolles Trainerteam! Tolle Sportsfreunde! Alles war toll! Neulich war ich dann hier beim Training. Ich musste über den Boden kriechen, mich unaufgewärmt stretchen, zirka tausend Liegestütze machen und als ich endlich kämpfen durfte, bekam ich nach ungefähr acht Sekunden einen Kniestoß auf den Oberschenkel. (Beim Taekwondo nicht erlaubt.) Ich kann Wochen später das linke Bein noch immer nicht richtig bewegen und suche deshalb auch noch nicht nach einem neuen Verein.
Trotz des Taekwondo-Fiaskos und der langen Jobsuche – inzwischen unterrichte ich wieder! – habe ich meine neue Heimat längst ins Herz geschlossen. Vor allem, weil Schweden ein so entspanntes Land ist. Das fängt schon im Straßenverkehr an. Zwar fahren hier alle entweder Volvo-Großstadtpanzer oder Luxus-Teslas, aber wenn ein Schwede jemanden sieht, der sich einem Zebrastreifen auch nur nähert, hält er.
Über das Impfen wird nicht geredet, man tut es einfach
Auch in der Corona-Zeit waren die Schweden entspannt. Das waren sie, als die Zahlen gut waren, wie in diesem Herbst, und das waren sie, als die Zahlen schlecht waren, wie im letzten Winter. Keine Angst, keine Panik. Weder in den Nachrichten noch in den Gesprächen, die man zum Thema geführt hat. Und übers Impfen wird nicht jeden Tag geredet, die meisten tun es einfach.
Ich persönlich fühle mich hier wahrscheinlich auch so wohl, weil ich ursprünglich vom Meer (aus Kiel) komme. In Göteborg lebe ich quasi wieder am Meer. Der Fluss (die Götaälv), der Göteborg teilt und auf dem Fähren des öffentlichen Nahverkehrs die Ufer im Zickzackkurs miteinander verbinden, mündet in Sichtweite im Meer. Gleichzeitig wohnen wir direkt an einem Waldgebiet, und manchmal besuchen uns Rehe.
Und wie sieht es mit meinem Schwedisch aus? Also am Anfang dachte ich: Schwedisch lerne ich nie! Ist einfach für Deutsche, hat man mir oft gesagt. Ja ja ja und bla bla bla. Einfach zu lernen, das stimmt. Fließend zu sprechen oder Schwedisch zu verstehen, wenn Schweden miteinander sprechen, das ist wiederum definitiv nicht einfach. Es war ein harter Kampf, aber inzwischen kann ich mich auf Schwedisch so verständlich machen, dass man mir nicht mehr auf Englisch antwortet. Und ich schaffe es auch, meinen Schülern französische Grammatik auf Schwedisch zu erklären. Seit Kurzem bin ich sogar in der Lage, die Schüler mit meinen manchmal auch albernen Sprüchen so zu nerven, wie ich es in Deutschland immer getan habe, oder muslimischen Schülerinnen auf Nachfrage zu erklären, dass ich nicht an Gott glaube. Wenn sie dann nicken und „Detärokej, Arne“ sagen – alle duzen sich hier –, dann habe ich auch hier das Gefühl, angekommen zu sein.
Und meine Familie? Meine Frau, wegen der wir hier sind, ist glücklich auf ihrer neuen Arbeit. Und wie meine Kinder diesen Monsterumzug mitten in ihrer Schulzeit bewerten, werden sie wahrscheinlich erst in vielen Jahren wissen. Ich hoffe natürlich, sie werden ihren eigenen Kindern nicht erzählen, wie entsetzlich es war, als ihre blöden Eltern sich mit fast 50 für einen Neuanfang entschieden haben…
Gemeinsam mit seiner Tochter berichtet Arne Ulbricht auf Youtube von seinem „Leben in Schweden“. Seinem aktuellen Roman „Schilksee 1990“, der auch in Wuppertal spielt, folgt im Februar sein neuer Roman „Aulaskimo“, den er am 15. Februar in der Buchhandlung von Mackensen vorstellt.