Gesundheit Warum ein Experte der Wuppertaler Uni zur Grippe-Impfung rät

Der Wuppertaler Epidemiologe Dr. Jean-Baptist du Prel über das Ende der Spanischen Grippe vor 100 Jahren und die Vorteile der heutigen Schutzimpfungen.

Eine Patientin lässt sich gegen Grippe impfen.

Foto: dpa/Martin Schutt

Nach unbestätigten Schätzungen fielen der größten Influenza-Pandemie des 20. Jahrhunderts rund 100 Millionen Menschen zum Opfer. Als Spanische Grippe ging diese Epidemie in die Weltgeschichte ein. Nach heutigen Erkenntnissen begann sie jedoch nicht im Süden Europas, sondern auf dem Army-Stützpunkt Fort Riley in Kansas. Als einer der ersten Patienten wird oft der Koch Albert Gitchell genannt. Binnen weniger Tage erkrankten in diesem Militärlager mehr als 500 Männer.

Wie steckten sich die Menschen an?

Jean-Baptist du Prel: Die Menschen damals steckten sich genauso an, wie an der saisonalen Grippe heute. Es sind im Prinzip drei Übertragungswege. Das eine ist die Ansteckung über die Tröpfcheninfektion, auch über mehrere Meter weit, das andere sind Kontaktinfektionen. Wenn ich z.B. in meine Hand huste, und gebe jemand anderem die Hand, der sich wiederum an Mund oder Nase fasst. Und die dritte Möglichkeit ist die Schmierinfektion, weil der Influenzavirus die Eigenschaft hat, dass er eine gewisse Zeit auch außerhalb des menschlichen Körpers überleben kann. Es könnte theoretisch sein, dass jemand an einen Fahrstuhlknopf greift, der nächste fasst an die gleiche Stelle und infiziert sich darüber.

Warum war die Spanische Grippe ein solcher Todbringer?

du Prel: Das eine sind Pathogenitätseigenschaften im Erreger selber, also die grundsätzliche Fähigkeit von infektiösen Organismen oder Toxinen, einen bestimmten Organismus krank zu machen. Die Spanische Grippe war eine Variante des H1N1 Typs, der sehr krankheitserregend für den Menschen war. Solche Erreger entstehen durch bestimmte Mechanismen. Ist ein Erreger vollständig neu für den menschlichen Organismus, also ein Subtyp, kann er den Menschen besonders schnell befallen. Das andere sind Eigenschaften im Wirt, der sozusagen von einem neuen Erreger überrascht wird, und das dritte sind die Umstände. Es war ja damals Krieg und der Erreger hat sich zunächst in einem Militärlager ausgebreitet. Solche Gruppeneinrichtungen sind die ideale Voraussetzung für eine Verbreitung. Dann wurde er von den Truppen nach Europa, also auch nach Frankreich und Spanien gebracht. Erhöhte Mobilität spielt auch heute eine große Rolle für die Erregerverbreitung. Diese Truppenbewegungen bedingten, dass sich der Erreger in anderen Populationen ausbreiten konnte. Und solche Menschenmassen, wie man sie heute auch in Großstädten antrifft, begünstigen die Ausbreitung eines Erregers.

Welche Behandlungsmethoden gab es?

du Prel: Die Behandlungsmethoden waren vor 100 Jahren noch eingeschränkt. Es gab damals keine Impfstoffe gegen Influenza, es gab kein Virostatikum (Arzneimittel, das die Virusvermehrung hemmt) und es gab auch keine Antibiotika, wie wir sie heute haben. Was man damals machte, war eine rein symptomatische Behandlung. Diese spielt ja auch heute noch eine Rolle. Damals nutzte man Aspirin, was ja auch entzündungshemmend und schmerzreduzierend wirkt und sich günstig auf den symptomatischen Krankheitsverlauf auswirkt. Andere Methoden waren Bettruhe, Inhalation oder Nasenduschen, auf symptomatischer Basis. Die Leute haben auch versucht aus anderen Krankheitsbildern Medikamente zu übernehmen. Man hat etwa Chinin verabreicht, was erfolgreich gegen Malaria half, aber auch Morphin und Heroin gegen die Schmerzen. Und man hat damals auch, aus für mich nicht nachvollziehbaren Gründen, Quecksilber injiziert, weil man glaubte, dass das hilfreich sei. Also teils martialische Hilfsmittel.

Welche Schutzmaßnahmen haben wir heute, 100 Jahre später, käme eine neue Pandemie?

du Prel: In den meisten Ländern gibt es Überwachungssysteme für Influenzainfektionserkrankungen und die laufen permanent, d.h. die WHO hat einen Überblick, wo momentan welche Erreger grassieren. Und in Abstimmung dessen werden jedes Jahr zwei Mal von der WHO Empfehlungen für Influenzaimpfungen ausgesprochen. Einmal für die Süd- und einmal für die Nordhalbkugel. Und trotzdem kann man nie eine 100-prozentige Sicherheit garantieren. Das zweite ist, wir haben ja die Möglichkeit zu impfen, die gab es ja 1918/1919 nicht. Auch für schwere Fälle haben wir Virostatika, die den Erkrankungsverlauf mildern. Und für die bakteriellen Superinfektionen fehlten damals ja Antibiotika. Das war ein Hauptgrund, warum das häufig tödlich ausging.

Grippeschutzimpfungen sind in den letzten Jahren immer häufiger beworben worden. In den Medien gibt es sowohl Befürworter als auch Gegner. Für wen ist Ihrer Meinung nach diese Impfung sinnvoll?

du Prel: Ich würde mich da an die Empfehlungen der ständigen Impfkommission am Robert Koch Institut halten wollen. Das sind vor allem Personen über 60 Jahre, weil bei diesen Menschen meist das Immunsystem nicht mehr so fit ist. Schwangere sollten im zweiten Schwangerschaftsdrittel, bei bestehendem Grundleiden auch schon im ersten Schwangerschaftsdrittel geimpft werden. Dann Personen mit Grunderkrankungen wie z.B. Asthma, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder auch Nierenerkrankungen. Dann empfiehlt man es auch Leuten, die in Kontakt mit Menschen sind, die eine Immunschwäche haben. Und natürlich auch Menschen, die im Gesundheitssystem tätig sind, weil sie sonst vielleicht Überträger für die Patienten werden können. Personen, die einen erhöhten Publikumskontakt in Gemeinschaftseinrichtungen haben, sowie alle Personen, die mit Vogelzucht zu tun haben, weil da immer die Gefahr der Doppelinfektion gegeben ist. Ich selber bin ein großer Befürworter von Influenzaimpfungen, weil ich finde, Impfen hat immer zwei Gesichter. Das eine ist der persönliche Schutz und das andere ist der Schutz der Mitmenschen, daher wäre ich eher großzügig mit der Indikation.

»Uwe Blass ist Mitarbeiter des Uniservice Transfer der Universität. Das Interview ist Teil der Reihe „Jahr100Wissen“. Blass befragt Wissenschaftler über 100 Jahre zurückliegende Ereignisse.