Wie das Biest geweckt wurde
Experte Eric Pineault referierte über Kapitalismus und eine nachhaltigere Gesellschaft.
Wenn Eric Pineault vom entfesselten Kapitalismus spricht, dann nennt er ihn gerne — in Anlehnung an die angloamerikanische Vorliebe für direkte Ansprache - das Biest. Wie das Biest geweckt wurde und nach welchen politischen und wirtschaftlichen Prinzipien es operiert, darüber hat der kanadischen Soziologe und „Degrowth-Experte“ am Dienstagabend im Wuppertal Institut berichtet. Denn auch wenn derzeit überall auf der Welt ein wirtschaftliches Wachstum konstatiert oder zumindest erwartet wird, so glaubt Pineault nicht, dass die derzeitige Form des kapitalistischen Wirtschaftens ein Zukunftsmodell ist.
Zu groß sind die Schäden an der Umwelt, zu eklatant die gesellschaftlichen Verwerfungen. Kapitalismus muss dabei nicht unbedingt schlecht sein - sofern er seine Grundlagen nicht zerstört und nicht in einen Kreislauf des konstant steigenden Überflusses und Konsumverhaltens mündet. Genau dies sei aber in den 1950er Jahren in Nordamerika und Europa eingetreten, erzählte der Professor der Universität Quebec in Montreal in seinem auf Englisch gehaltenen Vortrag. Mit der Umstellung der Wirtschaft auf ein vornehmlich von Öl angetriebenes System sei eine „große Beschleunigung“ eingetreten.
Anders als bei Marx sieht Pineault allerdings nicht mehr den Kapitalisten als Person, der enteignet werden muss, um eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen. Für ihn sind Kapitalisten vielmehr „komplexe Organisationen“ - also weltweit operierende Konzerne wie Siemens, Facebook oder Alphabet. Sie setzen auf eine stetige Steigerung der Überschüsse, die wiederum zu einem wachsenden Konsumverhalten beim Bürger führt.
Das wiederum hat zur Folge, dass mehr produziert werden muss. Der Konsument muss mehr arbeiten, um in der Folge auch wieder mehr konsumieren zu können. Dabei verlieren die Waren immer mehr an Wert, werden beliebiger und schneller weggeschmissen.
So weit die Diagnose, Wege aus der Malaise konnte Pineault nur skizzieren. Er setzt nicht auf einen radikalen Umsturz, sondern auf den Übergang zu einer postkapitalistischen Gesellschaft, die auch andere Werte als Arbeit und Umsatz würdigt. In diesem Zusammenhang lobte er die Forderung der IG Metall nach einer 28-Stunden-Woche.
Der Präsident des Wuppertal Instituts, Uwe Schneidewind, bezeichnete die Analyse seines kanadischen Kollegen als eine „eher entspannte“ Theorie, die sich gut mit den Forschungsansätzen seines Institutes vereinbaren lasse. Sie liefere wertvolle Überlegungen für die weitere Arbeit des Instituts.