Zukunftspreis für Thrombose-Tablette aus Wuppertal
Berlin. Die Zukunft seiner Erfindung sieht Mediziner Frank Misselwitz schon vor sich: Ein Risikopatient schluckt einmal am Tag eine Tablette - und schützt sich damit vor einem Schlaganfall.
Bis es soweit ist, werden noch einige Jahre vergehen. Doch die Tablette gegen Thrombosen, die Misselwitz in Wuppertal für das Pharmaunternehmen Bayer Schering mitentwickelte, hat noch Potenzial. Am Mittwochabend zeichnete Bundespräsident Horst Köhler die Entwicklung in Berlin mit dem Deutschen Zukunftspreis aus. Das ist das Gütesiegel für Innovationen aus Deutschland.
Über die 250.000 Euro, die als Preisgeld mit dem Zukunftspreis verbunden sind, wird ein Pharmakonzern wie Bayer Schering vielleicht lächeln. Denn die Entwicklung der Thrombose-Tablette am Forschungsstandort Wuppertal (Nordrhein-Westfalen) hat in mehr als sieben Jahren so viel gekostet wie zwei Jumbo-Jets: eine Milliarde Euro. Doch für die Forscher bedeutet die Ehrung sehr viel. Es sei ein erhebendes Gefühl, sagt Misselwitz. Denn der Zukunftspreis hat Gewicht in Wissenschaft und Wirtschaft. Wer ihn bekommt, darf sich zu den innovativsten Köpfen Deutschlands zählen - Nobelpreis später nicht ausgeschlossen.
Erfolgreiche Forscher können sich auch eines Lobes des Bundespräsidenten sicher sein. Horst Köhler rief am Mittwochabend zum "Forschen gegen die Krise" auf. Deutschland habe an Wettbewerbsfähigkeit verloren, sagte er. Durch Forschung könne das Land wieder aufholen. Er mahnte, in diesem Punkt nicht locker zu lassen. "Das wäre Sparen am falschen Platz."
Wer bei Thrombosen nur an eng anliegende Kompressionsstrümpfe denkt, greift zu kurz. Die Blutgerinnsel, die sich oft in den Venen der Beine bilden und dort zu einer Art Pfropf heranwachsen, können lebensgefährlich werden. Löst sich der Pfropf, kann er in Lunge, Herz oder Gehirn wandern und dort wie ein Staudamm den Blutfluss hemmen oder ganz stoppen. Im schlimmsten Fall heißt das dann: Tod durch Lungenembolie, Herzinfarkt oder Schlaganfall.
In der westlichen Welt sind Thrombosen gefürchtet. An ihren Folgen sterben doppelt so viele Menschen wie nach Brustkrebs, Prostatakrebs und Verkehrsunfällen zusammen. Schon lange gibt es Spritzen gegen Thrombosen. Risikopatienten müssen sie sich zum Beispiel vor langen Flügen setzen. Auch Tabletten sind schon auf dem Markt. Doch sie wirken nur gut, wenn ein Patient sich regelmäßig checken lässt. Nach Jahren des Stillstands bei der Entwicklung vorbeugender Medikamente gegen Thrombosen wollte Misselwitz' Team eine unkompliziertere Pille entwickeln. Dafür ließen die Forscher in Wuppertal 200.000 chemische Substanzen von einem Computer auf Wirksamkeit durchleuchten. Nach einigen Rückschlägen fand sich schließlich der Wirkstoff Rivaroxaban, der gezielt in die biochemischen Abläufe während der Blutgerinnung eingreift.
Denn für die Thrombosenbildung ist das Enzym Faktor Xa verantwortlich. Es steuert die Bildung des Enzyms Thrombin. Dieses Enzym spaltet das Glykoprotein Fibrinogen zu Fibrin, das dann als eine Art "Klebstoff" die Blutgerinnung vorantreibt. Rivaroxaban hemmt nun die Aktivität des Faktor-Xa-Enzyms. Wichtig dabei ist, dass der Wirkstoff die Blutgerinnung nicht völlig verhindert. Sonst könnte der Körper Blutungen nach Verletzungen oder Operationen nicht stoppen.
Bisher ist die neue Thrombose-Tablette nur vor schweren Knie- und Hüftgelenksoperationen zugelassen. Nach dem künstlichen Ersatz der Gelenke, wenn ein Patient kaum laufen kann, soll die Pille das Thromboserisiko senken. Studien hätten ergeben, dass es nach Einnahme der neuen Tablette nur halb so viele Thrombosefälle gab wie nach der herkömmlichen Spitze, sagt Misselwitz. Mehr Nebenwirkungen gab es hingegen nicht. Praktischer ist die neue Pille auch: Patienten können sie unabhängig von Alter, Körpergewicht und Geschlecht schlucken. Eine Überwachung ist nicht nötig.
2010 will Bayer Schering weitere Zulassungen für sein Präparat anmelden, Studien mit 65 000 Patienten laufen - und es geht es auch schon um Schlaganfall-Vorbeugung. "Kompressionsstümpfe werden ein probates Mittel gegen Thrombosen bleiben", sagt Misselwitz. "Um besser zu helfen, kann man aber schon noch zwei Schippen drauflegen".