Begrabt mein Herz in Wuppertal Wodka statt Fenchel und Petersilie

Als ich kürzlich auf der Suche nach etwas Essbarem durch den Supermarkt schritt, vorbei an leer gekauften Regalen, erinnerte ich mich an die Kinderkrankheiten, vor denen ich nicht verschont blieb: Masern, Windpocken, Röteln und Mumps.

Uwe Becker.

Foto: Joachim Schmitz

Impfungen zu diesen Krankheiten wurden erst ab 1967 eingeführt. Der Blick in den Spiegel, der mich damals zum Weinen brachte, weil mich die roten Flecken im Gesicht entstellten und ich große Sorge hatte, dass meine Eltern mich nicht mehr erkannten, wenn sie von der Arbeit nach Hause kamen. Wenn der ganze Körper juckte und entzündet war, man sich aber nirgendwo kratzen durfte, auch nicht an den Stellen, die man mit seinen Händen problemlos erreichen konnte, ohne sich zu verrenken.

Wenn man mit hoher Temperatur, von Fieberträumen gequält, in seinem Bett lag, und auch die lustige Max und Moritz-Tapete einem keine Ablenkung verschaffen konnte, viel mehr alles nur noch bedrohlicher wirkte, da überkam mich nicht selten die Furcht, ich könnte am Ende an der Krankheit versterben, bevor ich das nächste, geliebte Weihnachtsfest mit meiner Familie hätte feiern können. Die Vorstellung, in einem dieser winzigen Kindersärge beerdigt zu werden und nicht in einem normalen, großen Sarg, so wie Opa und Uropa, ließen mich erschaudern.

Ich war jetzt mit den Gedanken so in meiner Vergangenheit gefangen, dass ich gar nicht bemerkte, dass ich mit dem leeren Einkaufswagen bereits in der Schlange an der Supermarktkasse angelangt war. Ich konnte nichts aufs Förderband legen, da sich in meinem Wagen keine Lebensmittel befanden. Zwischen den Einkäufen meiner Vorderfrau und die meines Hintermannes lag einer dieser Warentrenner.

Nach reiflicher Überlegung entschloss ich mich, auch ein Trennholz  zu ergreifen, um zwischen beiden eine kleine Wodka-Flasche aufs Band zu stellen, die direkt an der Kasse zugriffsfreundlich zum Kauf angeboten werden, damit die Wartezeit mit meinem leeren Einkaufswagen nicht ganz umsonst war. Die Artikel, die ich eigentlich hier kaufen wollte, waren wie häufig nicht vorrätig. Ich wollte einfach nur Fenchel und frische Petersilie erwerben.

Nachdem ich die Mini-Flasche Wodka bezahlt hatte, fragte ich die Kassiererin: „Wann habt ihr denn wieder Fenchel?“, weil ja gerade in Zeiten der Corona-Krise eine gesunde Ernährung wichtiger denn je ist. Die Kassiererin war aber anscheinend nicht vom Fach: „Fenchel? Was ist das, Obst?“ „Nein, Gemüse!“ „Kenn ich gar nicht!“ „Okay, Tschüss!“ Ich bekam meinen geliebten Fenchel dann an einem anderen Ort, dort war er nicht nur vorrätig, sondern auch gut sichtbar platziert, direkt neben Pastinaken und gelber Bete.

Hoffentlich verschärft sich die Corona-Epidemie nicht, obwohl es sich wahrscheinlich nicht verhindern lässt. Kann ich erneut an Masern und Windpocken erkranken? Sollte ich mich besser nachimpfen lassen? Jetzt eine Krankheit zu bekommen, die man schon als Kind hatte, würde mir gerade noch fehlen. Sie werden es mir nicht glauben, aber tatsächlich ist mir zur Zeit angst und bange! Im gestrigen Alptraum war Wuppertal die einzige Stadt in NRW, die noch vom Virus verschont war. Unsere Außengrenzen waren abgeriegelt, aber immer wieder versuchten Infizierte aus Solingen und Remscheid sich illegal Zutritt in unsere saubere, gesunde und kulturelle Metropole zu verschaffen. Schwer bewaffnete Bergische Zinnsoldaten erschossen viele Eindringlinge, aber leider kamen irgendwann doch einige durch…

Ich erkläre mich an dieser Stelle bereit, sollte uns Gott gnädig sein und uns vor dem Virus verschonen, würde ich mich nicht scheuen, am 13. September 2020 der Kandidatin oder dem Kandidaten der FDP meine Stimme bei der Wahl zum Oberbürgermeister von Wuppertal zu geben. Dieses Opfer würde ich für uns alle erbringen. Und das ist kein leichtes Opfer! Danken Sie mir noch nicht. Warten wir ab, was in den nächsten Tagen passiert. Sollte sich aber die Lage dramatisch verschlechtern, und sich herausstellen, dass die Apokalypse nicht zu verhindern ist, dann werde ich schnell noch ein Apfelbäumchen pflanzen und Uwe Schneidewind wählen - sorry!