Offener Brief Menschen mit Behinderung leiden unter den Folgen der Corona-Krise
Wuppertal · Besonders hart traf die Familien, dass es seit dem 16. März nicht mehr möglich war, ihre Kinder mit nach Hause zu nehmen. Jetzt sind Besuche eingeschränkt wieder möglich.
Das Kontaktverbot, das im Rahmen der Corona-Pandemie erlassen wurde, war und ist für viele Menschen nur schweren Herzens einzuhalten. Gerade ältere Menschen in Alten- und Pflegeheimen mussten knapp zwei Monate darauf verzichten, Besuch von ihren Verwandten zu empfangen. Auch Menschen mit Behinderung, die in gemeinschaftlichen Wohnheimen leben, waren von strengen Regelungen betroffen. Der Verein Lebensraum e.V. Wuppertal hatte sich deshalb am 11. Mai mit einem offenen Brief an die Landesregierung und das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales gewandt. In diesem beklagte der Vorstand das „strenge Kontaktverbot und nahezu unmenschliche Quarantänebestimmungen“ für Menschen mit Behinderung. Konkret geht es um zwei Wohneinrichtungen in Wuppertal, in denen 24 junge Erwachsene im Teilstationären Wohnen und acht Menschen im Ambulant Betreuten Wohnen leben.
„Wir sind da ein bisschen durch den Rost gefallen“, sagt Karl-Heinz Eckstein aus dem Vorstand von Lebensraum e.V. Die Regelungen, die für Alten- und Pflegeheime galten, passten nicht zu der Wohnsituation von Menschen mit Behinderung, die durchschnittlich 35 bis 40 Jahre alt seien. Sämtliche Angebote, die die Bewohner des Vereins sonst wahrnehmen, seien gestrichen worden. Er kritisiert zudem die lange Abschottung der Bewohner. „Menschen mit Behinderung brauchen einen „stark ritualisierten Ablauf“ sagt Eckstein. Vieles, was zum Alltag gehöre, wie die Arbeit in den Werkstätten für angepasste Arbeit, finde nicht mehr statt.
Besonders hart traf die Familien, dass es seit dem 16. März nicht mehr möglich war, ihre Kinder mit nach Hause zu nehmen. „Das sogenannte Fensterln ist inzwischen möglich. Man kann sich sehen, muss aber Abstand halten“, sagt Eckstein. Das sei sinnvoll, gerade wenn ein Mensch mit Behinderung eine Vorerkrankung habe. „Aber Menschen mit Down-Syndrom sind sehr emotionale Menschen. Die können keinen Abstand halten“, sagt er. Auch sei es den erwachsenen Kindern schwer zu vermitteln gewesen, wieso die Eltern sie nicht mitnehmen konnten.
Auf WZ-Anfrage teilte ein Sprecher des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales mit, dass Minister Laumann mehrfach betont hat, dass die aus Gründen des Infektionsschutzes erlassenen Besuchsverbote eine der schwersten Entscheidungen waren, die er in der Coronakrise treffen musste: „Nicht nur das Coronavirus ist für die Betroffenen eine große Gefahr. Auch soziale Isolation kann erhebliches seelisches Leid und körperliche Schäden verursachen. Darum müssen wir die richtige Balance zwischen einem wirksamen Infektionsschutz auf der einen Seite und der sozialen Teilhabe auf der anderen Seite schaffen“, wird der Minister zitiert.
Deshalb gelten die Quarantänemaßnahmen „nunmehr nur im Ausnahmefall, zum Beispiel bei besonders vulnerablen Bewohnern“. Sollte ein Besuch zu Hause bei den Eltern gewünscht sein, lasse auch dies das
geltende Recht zu. In der am 15. Mai veröffentlichten Allgemeinverfügung heißt es dazu, dass bei Wiederaufnahmen, die nicht aus einem Krankenhaus erfolgen, ein Kurzscreening auf Erkältungssymptome, COVID-19-Infektion, Kontakt mit Infizierten der Risikopersonen durchzuführen ist. Die Einrichtungsleitungen könnten im Ausnahmefall besondere Infektionsschutzmaßnahmen im Zusammenhang mit Wiederaufnahmen anordnen, wenn in dem Wohnangebot außergewöhnliche Infektionsrisiken bestehen.
Besuchszeiten müssen
länger sein als bisher
Ein Wochenendbesuch bei den Eltern ist nach Ansicht von Eckstein dennoch nicht möglich. „Damit wollen wir verhindern, dass die Fluktuation zu groß wird“, sagt Eckstein. Er geht davon aus, dass die Besuchszeiten länger sein werden und die Bewohner danach auch längere Zeit wieder im Wohnheim verbringen müssen. „So wie wir die Lockerung verstehen, muss unser Sohn 14 Tage bei uns bleiben“, sagt Eckstein. Bei der Rückkehr in das Wohnheim müsse ein Test auf Covid-19 gemacht werden, damit sicher sei, dass nichts ins Wohnheim eingeschleppt werde. „Das ist ein ganz großer Schritt“, sagt Eckstein. „Mit dieser Regelung können wir gut leben.“