Freies Netzwerk Kultur Wuppertaler Kulturkolumne: Wie kommen wir wieder raus ins „richtige Leben“?

Wuppertal · Thorsten Krug schreibt seine Kolumne für alle, die „null Bock“ haben.

Gastautor Torsten Krug.

Foto: Andreas Fischer

Letztens warb das sogenannte „Portal“ ARD Kultur in den sogenannten sozialen Netzwerken in einem Werbespot mit der feinsinnigen „Message“: „Für alle, die null Bock auf Theater haben …“ – garniert mit dem Bild einer zerrissenen Theaterkarte für die Saison 23/24 – „… gibt’s hier auch Konzerte, Kino oder Comedy“. – Wow! Ein erklärter „Kultur“-Kanal wirbt gegen das Theater für seine Inhalte, von denen einige, so das Kleingedruckte, „natürlich auch Theater“ seien. Die Werbeaktion ging ganz schön nach hinten los: nicht nur in der Theaterszene – es gab auch „null Bock auf Techno?“ – sorgte sie für Irritationen bis Ärger. Mal abgesehen davon, dass hier ein völlig überholtes Theaterverständnis und ein überholter Sprachgebrauch zutage treten, stellt der Kulturjournalist Stefan Keim in der Fachzeitschrift „Theater der Zeit“ fest: „Anscheinend hat ARD Kultur nicht nur keine Ahnung vom Theater, sondern auch nicht begriffen, was Kino ist. Online können Filme gezeigt werden, natürlich. Aber Kino ist das Gemeinschaftserlebnis von Menschen in einem Raum.“

Mittlerweile hat die ARD die Werbeaktion gelöscht und sich für „Missverständnisse“ entschuldigt. Für mich fügt sie sich jedoch in ein Bild: Techno oder Theater stehen hier für das „richtige Leben“, für Schweiß, Lärm und Tränen, kurz: „das Gemeinschaftserlebnis von Menschen in einem Raum“. Das kann ungemütlich, lang oder fordernd sein, vor allem aber: Ich kann es nicht abschalten. Ich muss es aushalten, erleben – mit anderen – und habe keine Hoheit darüber. Genau das wird hier als unmodern, überholt gebrandmarkt.

Das Hören der Stücke wurde
zum Privaterlebnis erklärt

Letztes Wochenende war ich erneut bei den ARD Hörspieltagen in Karlsruhe (zufällig tragen sie dieselbe Sendeanstalt im Namen). Vier Tage im Jahr feiert sich dort die lebendige Hörspielszene – der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, der freien Szene, für Kinder und Jugendliche (für die ich seit Jahren in der Jury zum Deutschen Kinderhörspielpreis sitzen darf). Bis zu Corona waren diese Tage ein echter Publikumsmagnet. So konnte man dort alle für den Deutschen Hörspielpreis nominierten Stücke gemeinsam hören. Macherinnen und Macher waren eingeladen, in moderierten Gesprächen Auskunft zu geben, es herrschte ein reges Treiben.

Mit Corona wurde alles auf Null gefahren, aus verständlichen Gründen. Doch bis heute ist es dabei geblieben: Das Hören der Stücke ist zum Privaterlebnis erklärt und ins Internet, in die Hörspielmediathek verlegt worden. Die Jury diskutiert vor Ort nur noch Hörspiele, die im Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe, in perfekt ausgestatteten Räumen, gar nicht mehr zu hören sind! Es ist wie ein Filmfestival ohne Filme.

Auch hier kommt die Neuerung mit einem digitalen Freiheitsversprechen daher: ich kann „jederzeit“ und „beliebig oft“ auf „alle Inhalte“ zugreifen. Doch mit anderen Menschen teilen, in einem gemeinsamen Augenblick, einem Raum, kann ich sie nicht mehr. Auf der Reise lese ich das neue Buch von Eva Menasse: „Alles und nichts sagen. Vom Zustand der Debatte in der Digitalmoderne“. Darin argumentiert sie, wie die digitale Welt – neben den allbekannten Freiheits- und Egalisierungsversprechen, die sie auch einlösen kann – zu Radikalisierung und Hysterisierung in nahezu allen Debatten beiträgt. Nach der Lektüre, die ich empfehle, möchte ich noch dringender raus aus allen Netzen und habe – um einmal Jugendsprache aus den achtziger Jahren zu gebrauchen – „voll Bock“ auf Kultur! Live und in Wuppertal.

Anregungen an: kolumne@fnwk.de