Kommunalwahl in Wuppertal Wuppertaler Politik-Professor: „Die Kommunalwahl wird extrem unfair“

Politik-Professor Hans J. Lietzmann zeigt Probleme der Kommunalwahl auf - und kritisiert die Machtstruktur im Wuppertaler Rathaus.

 Hans J. Lietzmann ist Professor für Politikwissenschaft an der Bergischen Universität.

Hans J. Lietzmann ist Professor für Politikwissenschaft an der Bergischen Universität.

Foto: Schwartz, Anna (as)

Herr Lietzmann, es gibt Menschen, die möchten die Kommunalwahl am liebsten verschieben, weil sie wegen der Corona-Krise unter ganz besonderen Vorzeichen stattfindet. Wie sehen Sie das?

Hans J. Lietzmann: Ich glaube, dass diese Wahl extrem unfair sein wird. Die nicht etablierten Kandidaten, die keine größere Partei hinter sich haben, werden sich kaum zeigen können. Es wird keinen Straßenwahlkampf geben. Es wird keinen Haustürwahlkampf geben. Es wird keine größeren Parteiversammlungen geben. Wer jetzt nicht bekannt ist, wird auch nicht bekannt werden.

Außer vielleicht übers Internet?

Lietzmann: Na ja, wer guckt denn da schon auf Politik? Wir haben eine hohe Selektivität bei der Nutzung des Internets. Die meisten Menschen - 80 bis 90 Prozent - haben einen Internetzugang. Aber von diesen nutzen es die allerwenigsten dazu, um sich im Netz an irgendwelchen Diskussionen zu beteiligen. Sie informieren sich vor allen Dingen nicht über einen Kandidaten, von dem sie nicht wissen, dass es ihn gibt. An einem Straßenstand ist das etwas ganz anderes. Da werde ich angesprochen.

Die Stichwahl bei der Oberbürgermeisterwahl sollte zunächst abgeschafft werden, was aber vom Verfassungsgericht gekippt wurde. Warum ist die Stichwahl so umstritten?

Lietzmann: Weil bei einer Stichwahl die Wahlbeteiligung noch mehr abrutscht. Tendenziell verlieren die Wähler Interesse an der Wahl, deren Kandidaten nicht in der Stichwahl sind. Wenn man dann hochrechnet, wie viele Bürger eigentlich noch hinter einem gewählten Oberbürgermeister stehen, wird einem so ein bisschen schwarz vor Augen. Das sind dann oft nur noch 20 Prozent einer Stadtbevölkerung. Da denkt man sich dann schon manchmal: Welchen Rückhalt soll so ein gewählter OB denn in der Stadt haben?

Aber keine Stichwahl zu machen wäre ja auch keine Lösung...

Lietzmann: Ja, natürlich ergeben Stichwahlen auch Sinn. Sie sind dann gut, wenn es ein sehr weites Feld an Kandidaten gibt. Wie hier in Wuppertal. Bei sieben Kandidaten gewinnt sonst am Ende noch jemand, der dann gegen drei Viertel der Stadt regieren soll.

Wieso wählen wir die Oberbürgermeister eigentlich direkt? Der Bundeskanzler wird ja auch vom Bundestag gewählt und nicht direkt vom Bürger.

Lietzmann: Das ist noch so ein spätmonarchisches Überbleibsel. Warum soll ein Bürgermeister nicht einfach aus dem Stadtrat heraus gewählt werden? Man wollte das Amt einfach mehr personalisieren. Das Amt stark und mächtig wirken machen.

Wirken lassen?

Lietzmann: Na ja, eigentlich wissen wir doch, dass die Bürgermeister nicht mächtig sind. Ich finde die Direktwahl daher auch problematisch. Weil so getan wird, als würden wir den großen Zampano wählen, dabei ist das in den meisten Städten Augenwischerei.

Aber zumindest ist der Oberbürgermeister doch Chef der Stadtverwaltung.

Lietzmann: Eigentlich schon. In Wuppertal haben wir eine besondere Situation. Meiner Meinung nach hat Stadtdirektor Johannes Slawig seine formale Herrschaftsposition aus der Zeit behalten als der Oberstadtdirektor der Chef des Rathauses war.

Woran machen Sie das fest?

Lietzmann: An allen Entscheidungen, die wir so erleben. Herr Slawig hat sich als die Kraft des Faktischen installiert, weil er viel länger an den Hebeln der Stadt sitzt als Mucke. Slawig bestimmt seit längerer Zeit, wer in der Stadt eingestellt wird, wie die Macht in den Dezernaten verteilt ist. Und die Kämmerei, deren Chef er ist, hat in Wuppertal einen großen Zugriff auf alle möglichen Entscheidungen.

Ist das aus Ihrer Sicht nicht ein wenig zweifelhaft, schließlich haben die Wähler bei der jüngsten OB-Wahl Herrn Mucke gewählt und nicht Herrn Slawig?

Lietzmann: Das ist nicht ein wenig zweifelhaft - das ist absolut verkehrt. Wuppertal stellt die Kommunalordnung praktisch auf den Kopf. Der Oberbürgermeister hat in Wuppertal nicht die Macht, die er haben könnte. Aufgrund der eingefahrenen Strukturen.

Der Stadtrat wird eigentlich für fünf Jahre gewählt. Der aktuelle Rat besteht wegen der Zusammenlegung mit der OB-Wahl sogar seit sechs Jahren. Ist es sinnvoll, öfter zu wählen?

Lietzmann: Nein, das entspricht nicht dem Bedürfnis der Menschen. Wir reden viel von Politikverdrossenheit. Die gibt es zwar nicht, aber es gibt eine Wahlverdrossenheit. Die Menschen suchen eher Beteiligung an Politik jenseits von Wahlen.

Die Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen ist ja auch traditionell besonders niedrig.

Lietzmann: Wir haben eine große Spreizung bei der Wählerschaft. Der Mittelstand wählt seit 20 Jahren unverdrossen. Im Briller Viertel und auf den Südhöhen wählen 60 bis 80 Prozent der Bürger. Aber in Heckinghausen, Wichlinghausen und in der Talachse stürzt die Wahlbeteiligung ab. Und zwar Jahr für Jahr dramatisch. In manchen Wahlbezirken in Wichlinghausen haben wir eine Wahlbeteiligung von unter zehn Prozent. Da geht eine Schere auf. Die, die sich nicht angesprochen fühlen, fühlen sich immer weniger angesprochen. Das ist ja auch so. Je weniger sie wählen, desto weniger Wahlkampf wird für sie gemacht.

Wozu führt das?

Lietzmann: Wahlen führen momentan zu einer sozialen Diskrepanz.

Warum schafft es der Stadtrat nicht, die Menschen für seine Arbeit zu begeistern?

Lietzmann: Die Erfahrung ist natürlich auch, dass eine Kommune gar nicht so wahnsinnig viel zu sagen hat. Sie hat bis auf ein paar Satzungen fast keine rechtlichen Kompetenzen. Und finanziell gibt es sowieso keinen Spielraum mehr. Das ist für die Menschen spürbar. Sie sehen, dass viele Bedürfnisse nicht erfüllt werden können. In vielen Bereichen kann nur noch die Notlage verwaltet werden.

Gib es denn Ideen, wie man die Menschen wieder für Kommunalpolitik begeistern kann?

Lietzmann: Aufsuchende Bürgerbeteiligung hat eindeutige Effekte. Hingehen. Leute ansprechen, die gar nicht damit rechnen, angesprochen zu werden. Dann kommen die Leute mit und beteiligen sich. Es ist nicht so, dass die Menschen nicht politisch aktiv sein wollen, aber sie fühlen sich bei einer Wahl nicht gemeint. Wenn man ihnen aber klar macht, dass sie gemeint sind, dann sind sie auch hoch engagiert. Was das noch befördern würde und dringend nötig ist: mehr politische Bildung in den Schulen. Sinnvoll wäre dazu eine Herabsetzung des Wahlalters.