Reportage Zum Abschied ein paar Drohnen: Wuppertaler Verein „Water for Ukraine“ organisiert wieder Hilfskonvoi

Wuppertal · Geliefert wurden diesmal Nutzfahrzeuge – ein Reisebericht.

Ukraine

Foto: Leuschen/Ukraine

Der beste Konvoi sei das gewesen, sagen die erfahrenen Teilnehmer des bereits 15. Hilfskonvois des Vereins Water for Ukraine. Diesmal galt es, Nutzfahrzeuge in das Land zu bringen, das sich seit zwei Jahren gegen den russischen Angriff verteidigt. Kleinlastwagen, ein Pick-up-Truck, Lieferwagen sowie ein 30 Jahre altes Feuerwehrauto tun fortan Dienst in Osteuropa. Die Fahrzeuge gehen in den Raum Odessa, nach Dnjepr, auch nach Lwiw, wo das Wasserwerk mit Hilfe aus Deutschland ertüchtigt werden soll. Das Feuerwehrauto dient ab sofort an der Front.

Herz schlägt bei
den Stadtwerken Wuppertal

Der Verein Water for Ukrain geht auf die Initiative von Civitas Connect zurück. Das ist ein Zusammenschluss mehrerer Stadtwerke mit dem Ziel, die kommunale Energie- und Wasserversorgung durch Digitalisierung und Kooperation im Sinne von Versorgungssicherheit und Klimaschutz zukunftsfähig zu machen. Das Herz von Water for Ukraine schlägt bei den Stadtwerken Wuppertal (WSW). Der Vorsitzende des Aufsichtsrates, Dietmar Bell, ist Mitglied des Vereins. Bei den WSW initiiert der Journalist und Energiemarkt-Experte Elmar Thyen seit drei Jahren Transporte nach Lwiw, ins ehemalige Lemberg.

Reisevorbereitungen in Wuppertal: In Varresbeck geht es los.

Foto: Leuschen/Ukraine

Unmittelbar nach Kriegsbeginn war alles Mögliche gefragt. Mit der Zeit hat die Lieferung von Fahrzeugen an Bedeutung gewonnen. Inzwischen summiert sich der Spendenwert auf fast vier Millionen Euro. Das liegt auch an den potenten Partnern. Neben den Wuppertaler Stadtwerken (WSW) sind die Stadtwerke Krefeld sowie Gelsenwasser mit an Bord. Unternehmen helfen mit Spenden, ebenso Privatleute. „Wir haben ein ganzes Wasserwerk aus Krefeld in die Ukraine gebracht“, sagt Thyen. „Wir“ ist im Kern ein Dutzend Leute, die immer dabei ist, wenn Konvois geplant und umgesetzt werden.

Was zunächst spontan und kurzfristig aus dem Boden gestampft worden ist, gewinnt zunehmend an Professionalität. Im deutschlandweiten Netzwerk der Helfer wächst die Rolle von Water for Ukraine. Inzwischen ist der Verein auch im Namen der Staatskanzlei des Landes NRW unterwegs. NRW unterstützt die Region Dnjepr. Der Verein unterstützt die Staatskanzlei.

Operativ ist die Organisation vor allem durch die ehrenamtlichen Helfer, die sich bereit finden, das Wagnis Ukraine einzugehen. In ihrer Liste haben die Planer um Dennis Lepperhoff und Norbert Langer mittlerweile an die 100 Namen von Menschen, die potenziell als Fahrer zur Verfügung stehen. „Das reicht aber nicht“, sagt Thyen, der heute Vorsitzender des Vereins ist.

Besprechung kurz vor der Abfahrt.

Foto: Leuschen/Ukraine

Der 15. Konvoi stand deshalb kurz vor dem Start plötzlich auf tönernen Füßen. Mehrere eingeteilte Fahrer hatten sich am Tag vor der Abfahrt krank gemeldet. Ein kurzfristiger Aufruf in der Westdeutschen Zeitung verhinderte Schlimmeres. Drei Wuppertaler meldeten sich, darunter Jannik aus Ronsdorf. Er ist kaum 20 und mit Felix aus Dresden und Lasse aus Gelsenkirchen der jüngste Teilnehmer. Der älteste ist Peter, der den Feuerwehrwagen nach Charkiw, mitten ins Kriegsgebiet, bringt. Peter ist 75. „Ich finde, man muss etwas tun“, sagt Jannik. So sahen das auch die anderen etwa 15 Fahrer zum Start der Tour am Deutschen Ring in Varresbeck.

Wasserkanister, Kühlschrank
und Gaskocher an Bord

Die Gruppe tut etwas. Reiner Barzel aus Essen fungiert als eine Art Kolonnenleiter. Er hat eindeutig Pfadfinderqualitäten und ist schon nach wenigen Einsätzen für die Wasserwerker routiniert auf dem Weg in die Ukraine. Diesmal bewegt er einen von Gelsenwasser gespendeten Pick-up-Truck, der nach etwa 20 Jahren und 210 000 Kilometern in den Unruhestand verabschiedet wurde. An Bord hat Barzel einen großen Wasserkanister, einen Kühlschrank, einen Gaskocher.

Gruppenbild mit Fahrern und dem 30 Jahre alten Feuerwehrauto, das jetzt an die Front nach Charkiw geht.

Foto: Leuschen/Ukraine

Kaffee und Frühstücksei:
Das hebt die Moral

Einige Fahrer sind sehr froh, dass er ihnen nach der ersten langen Nacht auf den Autobahnen Richtung Osten morgens ein perfektes Frühstücksei und ebenso schmackhaft heiß dampfenden Kaffee kocht. Das hebt die Moral. Lange Nachtstunden hinter dem Lenkrad können mächtig schlauchen.

Der mulmige Gedanke daran, in ein Kriegsgebiet zu fahren, wird mit Witzen und Anekdoten überspielt. Es wird schon nichts schiefgehen, bisher ist noch nie etwas schief gegangen. „Bis auf einmal vielleicht“, berichtet Thyen. Da war die Gruppe unter anderem mit zwei ausgedienten Linienbussen der WSW unterwegs, am Steuer ausgebildete, aber recht neue Fahrer. Auf einem Rastplatz geschah der Fauxpas. Eine Front- und eine Heckscheibe gingen zu Bruch. Das ist ebenso ärgerlich wie schwierig in einem Konvoi, in dem bei aller minutiösen Planung immer auch improvisiert werden muss. „Es ist abgesprochen, dass wir kein militärisches Gut nach Lwiw bringen“, erklärt Thyen. Das gilt auch für das Feuerwehrauto, das zwar in Charkiw Dienst tun wird, aber nur um zu retten, um zu löschen, was die Russen im Furor mit ihren Raketen und Bomben angezündet haben.

Alle wissen, was
sie zu tun haben

Dem 15. Konvoi ist von Improvisation nichts anzumerken. Alles geschieht reibungslos, alle wissen, was sie zu tun haben. Die Reise ist zwar ein Abenteuer, aber Abenteuerlust ist nicht gefragt. Wer das anders sieht, hat keine Zukunft in der Gruppe. Sachlich, nüchtern, diszipliniert fährt die Kolonne die beinahe 1500 Kilometer über Straßen, die in der Ukraine als solche eigentlich nicht zu erkennen sind. Knöcheltiefe Schlaglöcher sollen den Fahrern und ihren Vehikeln später noch zusetzen. Altlasten, keine Kriegsschäden. Aber bis es soweit ist, stehen zwei Grenzkontrollen im Weg. Die Beamten auf polnischer Seite und die ukrainischen Soldaten auf der anderen Seite nehmen ihre Arbeit umständehalber sehr genau. Wer reist ein? Was bringt er mit? Es dauert Stunden, vor allem dann, wenn Autos eingeführt werden sollen, die in der Ukraine bleiben. Auf dem Rückweg wird es nicht besser sein. Polen will nicht, dass Schmuggler sich an der Situation bereichern. Aussteigen, ausladen, alle Taschen auf. Selten nur noch hat „Schengen“ einen süßen Klang. Der Mensch gewöhnt sich an Freiheit. Zu schätzen weiß er sie erst wieder, wenn die Freiheit verjagt wird. Die Ukrainer wollen nicht, dass potenzielle Soldaten und kriegswichtiges Material wie etwa Treibstoff das Land verlassen.

20 Stunden bis zum ersten Übernachtungsstopp

Fast 20 Stunden dauert die Fahrt bis zum ersten Übernachtungsstopp auf polnischer Seite. Von dort sind es zwar nur noch knapp 300 Kilometer bis Lwiw, bis ins heutige Lemberg. Aber die Grenzen und die Straßen machen aus dem Katzensprung einen Marathonlauf. Es ist nach 36 Stunden, nach anderthalb Tagen im Schneckentempo ein gutes Gefühl, mit der Kolonne auf den Hof der Wasserwerke von Lwiw zu fahren. Deren Fuhrpark besteht in kleinen Teilen schon aus Fahrzeugen aus Wuppertal und Gelsenkirchen. Er erinnert teilweise dennoch an den Schrottplatz eines Kfz-Museums.

Das tut der Freude von Volodymyr Bilynskyy keinen Abbruch. Er ist Verbindungsmann des Vereins in Lwiw. Der 40 Jahre alte Ukrainer arbeitet bei den Wasserwerken der Stadt. In seiner Freizeit erledigt Bilynskyy die Formalitäten. Ohne ihn und seine Geduld könnten die Deutschen gar nichts in die Stadt bringen, schon gar keine Autos. Auch in Kriegszeiten sind die Zollbehörden unerbittlich. Krisenzeiten begünstigen die Wiedergeburt von Stempelkissen und Stempeln. Volodymyr Bilynskyy trägt es mit Fassung. Das Ziel ist wichtiger als alle Mühsal durch Verwaltungsakte.

Es hat Tradition, dass er die Fahrer aus Wuppertal, Gelsenkirchen, Essen, Witten und Dresden am Tag der Ankunft zum Abendessen einlädt. Dann gibt es Worte der Dankbarkeit, der Hoffnung, der Freundschaft. „Ich hoffe, dass wir nach unserem Sieg so gut sein können wie eure Unternehmen in Deutschland“, sagt er und hebt sein Glas. Es hat Tradition, dass an diesem Abend einige Flaschen Wodka ihren Inhalt preisgeben. Nach all den Anstrengungen tun ein paar Schluck Hochprozentiger gut – und sehr schnell ihre Wirkung.

Aber Zeit zu verweilen ist nicht. Die Männer aus Deutschland müssen zurück. Zu Hause warten Arbeit, vor allem aber Menschen, die sich Sorgen machen. Der Krieg ist meistens weit weg von Lwiw, manchmal aber nicht. In der Panzerfabrik sind bereits zweimal Raketen eingeschlagen. Die Wasserwerke haben derzeit 90 Männer an der Front. Sechs Kollegen, sagt Volodymyr Bilynskyy, seien gefallen, 15 wurden verwundet. „Manche müssen wieder an die Front, manche nicht. Ich weiß es nicht“, sagt er. Die Menschen in der Ukraine leiden unter dem Krieg. Sie quält der Gedanke, die erhoffte Zukunft in Europa, in Freiheit, Sicherheit und Wohlstand nicht erreichen zu können. Aber sie sind unbeugsam. Sie reißen sich zusammen.

Aus dem Luftschutzkeller
in die Autos

Die Russen tun unterdessen alles, dass auch die Menschen ganz weit im Westen des Nachbarlandes, an der Grenze zu Polen den Aggressor nicht vergessen. Und wie zum zynischen Abschiedsgruß schickt Putin ein paar Drohnen und Raketen in die Region um Lwiw, kurz bevor die Helfer aus Deutschland die Heimreise antreten wollen. Aus dem Luftschutzkeller in die Autos. Die meisten werden mit Hilfsgütern wiederkommen, trotz des Krieges, weil sie die ukrainischen Freunde nicht im Stich lassen wollen. Weil es in der Ukraine nicht nur um die Ukraine geht. Weil auch das freie Europa auf dem Spiel steht. Weil Russland nicht gewinnen darf.