Kriminalität Zahl der Straftaten in NRW sinkt - aber Angsträume existieren
Düsseldorf · Die Kriminalitätsstatistik weist auf rückläufige Zahlen hin. Innenminister Reul hat 2019 dennoch große Herausforderungen zu bewältigen: der Kampf gegen Clans und die Beseitigung von Angsträumen.
Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) rechnet auch für das zu Ende gehende Jahr 2018 mit sinkenden Kriminalitätszahlen. Ein besonders auffälliger Rückgang zeichne sich bereits bei der Zahl der Wohnungseinbrüche ab, aber auch bei Straßenraub und Computerkriminalität, sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Düsseldorf.
Zwischen Januar und November dieses Jahres sei die Zahl der Wohnungseinbrüche im Vergleich zum selben Vorjahreszeitraum um rund 23 Prozent auf 27 354 gesunken - das sind 8045 Fälle weniger. Bei der Computerkriminalität gab es ein Minus von fast 20 Prozent auf 18 361 Fälle.
Beim Straßenraub sanken die Fallzahlen demnach um gut 14 Prozent auf rund 4500. Niedrigere Zahlen weist die Zwischenbilanz unter anderem auch bei Diebstählen aus Autos und Läden aus. Eine Steigerung um rund 41 Prozent auf 152 Fälle ist dagegen beim Menschenhandel zu verzeichnen.
Schon für 2017 hatten Land und Bund rückläufige Zahlen vermelden können - deutschlandweit mit rund 5,8 Millionen Straftaten die niedrigste Zahl seit 1992. „Wir sind vorangekommen“, sagte Reul. Neben einer personellen Aufstockung der Polizei und besserer Ausrüstung hätten etwa gegen Einbrüche in Wohnungen und Autos auch technische Vorkehrungen geholfen.
Das neue Jahr stelle die Sicherheitsbehörden vor große Herausforderungen. Neben einer wirksameren Terrorabwehr gehöre dazu der Kampf gegen Clankriminalität. Das Treiben von rund 50 Clans in NRW besorge ihn „extrem“, sagte Reul. Im kommenden Jahr will der Minister ein landesweites Lagebild mit konkreten Daten zur Clankriminalität vorstellen.
„Sie erheben den Anspruch, zu bestimmen, was auf der Straße passiert. Das ist ein frontaler Angriff auf den Rechtsstaat“, beschrieb Reul das Problem. Schon Mitte der 80er Jahre seien viele nach NRW gekommen. „Das waren Geduldete, die keine Arbeit kriegen und nicht zur Schule gehen konnten. Und die haben sich dann ihre eigene Welt aufgebaut. Das war ein fataler Fehler der Politik.“ Als diese Menschen sich dann im Laufe der Jahrzehnte in kriminellen Strukturen organisiert hätten, habe der Staat nicht zugegriffen. „Das war der nächste Fehler. Jetzt machen wir das, aber das wird dauern.“
In NRW werde nun eine Strategie der „1000 Nadelstiche“ gefahren, mit gemeinsamen Razzien von Polizei, Gesundheitsämtern, Steuer- und Zollfahndern in Shisha-Bars, Wettbüros, Spielhallen und einschlägigen Szene-Treffs. „Wir schaffen Unruhe und signalisieren: Ihr könnt nicht machen, was Ihr wollt.“ Dem habe kürzlich auch der Einsatz von 300 Polizisten im Umfeld einer großen Clan-Hochzeit in Mülheim gedient.
Zwischen Frühjahr und Mitte Oktober dieses Jahres habe es nach Razzien mit insgesamt 2200 Polizisten in 485 Objekten 820 Straf- und Ordnungswidrigkeitsanzeigen gegeben. Viele Städte im Ruhrgebiet seien schon sensibilisiert, sagte Reul. Das Problem existiere aber auch im Umland, in Borken oder Mettmann.
„Wir brauchen auch Angebote zum Aussteigen“, räumte der Minister ein. „Das wird nicht einfach, jemandem mit einer Rolex am Arm einem Ausbildungsplatz als Busfahrer besorgen zu wollen. Aber es gibt auch Indizien - gerade bei Jüngeren und bei Frauen - dass es nicht alle toll finden, auf Dauer in einer Parallelwelt zu leben.“
Für das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung sei es wichtig, den Hoheitsanspruch des Staates durchzusetzen - nicht nur bei Mord und Totschlag, sondern auch auf dem Riesenfeld der Alltagskriminalität. „Das verunsichert die Leute noch viel mehr.“ Es fehle vor allem an Fahndungsexperten. „Wir müssen mehr Spezialisten für die Kripo aufbauen.“
Nach jahrelangen parteipolitischen Auseinandersetzungen, ob es in NRW berüchtigte „No-Go-Areas“ gibt, um die Bürger und Polizisten einen Bogen machen, wirbt Reul für Ehrlichkeit. „Es gab und es gibt No-Go-Areas, wo sich Bürger nicht 'rein trauen, weil sie Angst haben - manchmal ist das die Bahnunterführung abends. Wir versuchen, sie zu minimieren. Aber es gibt keine No-Go-Areas für Polizisten.“
So sieht das auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP). „Ginge die Polizei in irgendeinen Bereich nicht hinein, würde sie kapitulieren und den Rechtsstaat aufgeben“, betonte ein Sprecher des Bundesvorstands in Berlin. „Das ist aus unserer Sicht ausgeschlossen.“
Beim GdP-Bundeskongress hatte der Vorsitzende Oliver Malchow kürzlich vorgerechnet, in Deutschland wären 20 000 Polizisten zusätzlich nötig, um Massendelikte wie Kellereinbrüche, Fahrraddiebstähle oder Schmierereien vernünftig ahnden zu können.
„Das geht nicht“, betonte Reul. NRW werde aber im kommenden Jahr mit 2500 neuen Kommissaranwärtern das Mögliche ausschöpfen und wenigstens dafür sorgen, dass NRW trotz der vielen Pensionierungen den Stand von rund 40.000 Polizisten halte. „Bis zum Ende der Legislaturperiode 2022 werden wir einen vierstelligen Zuwachs haben.“