Absolut abhörsicher: Die Rohrpost ist noch immer hochaktuell
In Kliniken, Behörden und selbst im Bundeskanzleramt flitzen Sendungen per Druckluft durchs Gebäude. Das System aus dem 19. Jahrhundert ist noch hochaktuell.
Leipzig. Es rappelt in der Blechkiste am Empfangstresen der Uni-Frauenklinik Leipzig. Die Krankenschwester greift hinter sich und holt eine durchsichtige Plastik-Büchse mit schwarz-rotem Deckel hervor. Eine Rohrpost ist angekommen. Was nach letztem Jahrtausend klingt, ist ein höchst lebendiges System — hier, und in vielen weiteren großen Einrichtungen. Krankenhäuser, Behörden und selbst das Bundeskanzleramt vertrauen auf die gute, alte, abhörsichere Rohrpost.
Fast alle Abteilungen bis hin zur Pathologie sind in Leipzig angeschlossen, 21 Kilometer Rohre ziehen sich durch die Gebäude und unter den Wegen des Campus entlang. Dies hier sei neben der in Heidelberg die größte Krankenhaus-Rohrpost Deutschlands, sagt der Hüter des Systems, Instandhaltungskoordinator Christian Pohlenz.
Rund 3300 Büchsen sind pro Tag in Leipzig unterwegs. „Alles was zum Klinikalltag gehört und in die Büchse passt, wird verschickt“, sagt Pohlenz. „Alle Arten von Proben — Blut, Stuhl, Haut — Medikamente bis auf Betäubungsmittel, Unterlagen.“ Und auch wenn der Arzt mal seinen Pieper vergessen habe, werde schnell die Rohrpost bemüht. Getrieben von Über- und Unterdruck und gesteuert von Computern erreichen die Büchsen eine Geschwindigkeit von sechs Metern pro Sekunde.
Früher, das heißt vor mehr als 100 Jahren, sei die Rohrpost auch für die öffentliche Nutzung weit verbreitet gewesen, berichtet Veit Didczuneit vom Museum für Kommunikation Berlin. Großstädte wie Hamburg, Düsseldorf oder München betrieben Rohrpostsysteme. Und auch die Hauptstädter konnten seit dem 1. Dezember 1876 Rohrpost-Briefe und -Karten durchs öffentliche Röhrennetz jagen. Ein Rohrpostbrief kostete 30 Reichspfennige, ein normaler Brief nur fünf. Trotz der höheren Tarife erfreute sich die Berliner Stadtrohrpost laut Didczuneit höchster Beliebtheit — denn sie war unschlagbar schnell.
Die Erfolgsgeschichte der öffentlichen Rohrpost dauerte bis nach dem Zweiten Weltkrieg. „Mit der immer stärkeren Verbreitung des Telefons in den 50er und 60er Jahren ging das Rohrpostaufkommen rapide zurück“, sagt Didczuneit. In Westberlin wurde der Betrieb 1971 eingestellt, Ostberlin nahm 1976 endgültig Abschied. Was in Berlin das Telefon schaffte, erledigte in Hamburg schon 1962 die Flut: Das Wasser flutete das Röhrennetz und besiegelte das Ende.
Für die Hauspost werden die Druckluftröhren aber noch lange Mittel der Wahl sein. Davon ist zumindest der Leipziger Techniker Pohlenz überzeugt. Die Anlage der Uniklinik ist erst seit 2006 in Betrieb. Vorher erledigten meist Zivildienstleistende den Botenjob zwischen Laboren und Kliniken. „Die haben das dann auch mal mit einer Zigarette zwischendurch verbunden“, erzählt Pohlenz. Zigarettenpausen kennt die Technik natürlich nicht, die vorgegebene Quote von 99-prozentiger Pünktlichkeit schaffe die Rohrpost.
Ungefähr ein Dutzend Firmen bieten in Deutschland moderne Rohrpost-System an, sagt Pohlenz. Die Leipziger Anlage habe 1,8 Millionen Euro gekostet, der jährliche Betrieb schlage mit 40 000 bis 50 000 Euro zu Buche. Das sei wirtschaftlicher, als Menschen auf dem großen Klinikgelände mit Proben, Blutkonserven oder fremdsprachigen Patientenbögen von A nach B zu schicken. Eine Alternative zur Rohrpost sieht Pohlenz für die Uniklinik Leipzig nicht: „Jedenfalls so lange keiner das Beamen erfindet.“
Museum für Kommunikation: mfk-berlin.de