Amsel Tweety hat eine Menschenmama

Solingen. Amselweibchen "Tweety", das gerade fünf Monate alt geworden ist, steht mit ihren grazilen Beinen auf dem Erdboden der Außenanlage des Tierheims Glüder. Tweety scheint hungrig zu sein - das schwarze Tier mit hellen Unterfedern pickt genüsslich Regenwürmer aus dem Boden.

Plötzlich schleicht Tierheim-Katze "Tiffy" um das Gelände, die Amseldame hat dies bemerkt und schlägt in Windeseile ein paar Haken auf dem Boden.

"Jetzt bist du aber albern", sagt Jutta Hagedorn, die für Tweety so etwas wie eine Vogelmutter geworden ist. Alle zwei Stunden hatte Tweety Hunger Die 49-Jährige ist seit zwei Jahren Mitarbeiterin im Tierheim und wohnt in einer Dienstwohnung, die direkt an das Tierheim-Areal grenzt. Dort hat die Tierpflegerin das Amselweibchen mit der Hand aufgezogen.

"Sie wurde beim Tierarzt abgegeben, anscheinend ist sie aus dem Nest gefallen", erinnert sich Jutta Hagedorn. "Die Tierheimleiterin Andrea Kleimt hat mich gefragt, ob ich mich dem Tier annehme, das habe ich gern gemacht." Fortan musste die gebürtige Wuppertalerin das noch nackte Vogelbaby alle zwei Stunden füttern. "Zuerst gab es Katzenfutter, das ich ihr mit der Hand gegeben habe."

Glücklicherweise musste die Tierheim-Mitarbeiterin nicht nachts aufstehen, um zu füttern: "Amseln sind ruhig sobald es dunkel ist. Aber bei der Dämmerung morgens sind sie hellwach." Tweety, die ihren Namen von Hagedorns Enkelkind bekam, nächtigte in einem Schuhkarton, der mit Watte gefüllt war. "Das brauchte sie, denn sie war ja noch nackt und musste es warm haben", erklärt die 49-Jährige.

Alle zwei Stunden füttern - das war mit dem Alltagsleben nicht so einfach zu koordinieren. Doch Jutta Hagedorn hat es geschafft: "Wenn ich einkaufen musste, habe ich Tweety in einer Transportkiste mitgenommen. Sie ist dann solange im Auto geblieben während ich einkaufen war." Als das Amselweibchen etwa vier Wochen alt war, bekam es seinen ersten Flaum, aus dem sich dann langsam Federn entwickelten. "Sie sah aus wie ein kleines Wollknäuel."

Hagedorns fünf Katzen krümmten Tweety keine Feder - sie akzeptierten den geflügelten Freund. Heute frisst der Vogel, der auch Schwarzdrossel genannt wird, Mehlwürmer, Beeren oder Nudeln und lebt in einer Voliere. "Die haben wir extra gebaut. Es ist artgerecht für Tweety", erklärt Hagedorn. Morgens und abends komme die Amsel raus und dürfe ihre Runden fliegen. Dabei entferne sie sich nicht weit von ihr. "Manchmal spielt sie mit anderen Amseln auf dem Weg oder in den Bäumen. Wenn ich weggehe oder pfeife, ist Tweety sofort wieder bei mir", erzählt die Tierpflegerin stolz.

Selbst wenn sie im Tierheim-Imbiss etwas esse, sitze die Amsel auf dem Imbiss-Dach und schaue zu. "Die Arbeit hat sich gelohnt. Es ist schön zu sehen, was aus dem Vogel geworden ist. Ich würde es immer wieder tun." Nächstes Jahr soll Tweety ausgewildert werden. "Und wer weiß? Vielleicht bringt sie ja ihre Jungen hier hin . . ." mw