An Erntedank in Dorf-Romantik schwelgen
Laut Ritualforscherin Katrin Bauer wird das Fest der guten Gaben inzwischen immer mehr zum Kommerz.
Bonn. Gegen Ende der Erntezeit wird Erntedankfest gefeiert - außer in den Kirchen zunehmend auch auf Wochenmärkten. Sogar Supermärkte haben das Fest als verkaufsfördernden Termin entdeckt. Der Rheinische Landwirtschaftsverband fürchtet, das Bewusstsein für Erntedank könne verlorengehen. „Für viele sind die Früchte landwirtschaftlicher Arbeit nur jahreszeitbedingte Dekoration, sei es in Infobroschüren, Schaufenstern oder gar zu Halloween“, klagte der Bauernverband im Rheinland zum Erntedankfest.
Auch die Kirchen und Bauern in Westfalen bedauerten in dieser Woche in einer gemeinsamen Erklärung, es fehle eine Kultur der Dankbarkeit für die Gaben des Lebens und der Wertschätzung der Arbeit. Ein Gespräch dazu mit der Ritualforscherin Katrin Bauer vom Bonner Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte des Landschaftsverbands Rheinland (LVR).
Frau Bauer, ist Erntedank heute nur noch ein Deko-Fest mit Kürbis?
Katrin Bauer: Es hat die Kirchen nicht verlassen. Die Kirchen feiern immer noch am 1. Sonntag im Oktober mit Gaben. Aber wir leben in einer Gesellschaft, die teils auch entkirchlicht ist. Parallel haben Handel und Bauernhöfe das Erntedankfest ein Stück weit kommerzialisiert.
Und dazu passt, dass das Landleben ohnehin hoch im Kurs steht?
Bauer: Ja, aber nicht so, dass man selbst auf dem Land leben und diese Kürbisse anbauen möchte. Sondern man lebt im Prinzip in der Stadt und stellt sich ein romantisches Dorfleben vor. Gesellschaft heute verändert sich, ist mobil, globalisiert und pluralisiert. Da wertegebende Institutionen — wie eben auch die Kirchen — an Bedeutung verlieren, sucht der Einzelne sich individuelle Orientierungspunkte.
Wie beurteilen Sie den Trend zum Event — ob Oktoberfest oder Halloween?
Bauer: Das zeigt ihre Bedeutung: dass sie den Alltag strukturieren und das Jahr unterteilen. Wenn wir keine Bräuche hätten, sähe jeder Tag gleich aus. Solche Feste oder Events haben eine gemeinschaftsstiftende Funktion. Wenn man beim Oktoberfest im Zelt mit tausend anderen Menschen sitzt, die auch alle Trachten anhaben, ist das ein starkes Gemeinschaftsgefühl, das kurzfristig entsteht.