Analyse: Unsichtbarer Angreifer verunsichert Mexiko
Mexiko-Stadt (dpa) - Auf das gefährliche Virus folgte das schwere Erdbeben. Doch den unsichtbaren Angreifer - den Erreger der Schweinegrippe - fürchten viele Menschen mehr als die Erdstöße, die die mexikanische Hauptstadt am Montag erschütterten.
„Die Schweinegrippe ist schlimmer als ein Erdbeben“, sagt der Bankangestellte Miguel Rodriguez, als er mit bleichem Gesicht auf der Avenida Reforma steht. „Vor dem Erdbeben kann man sich in Sicherheit bringen.“ Er hatte wie Tausende anderer Menschen, die im Bankenviertel arbeiten, sein Büro verlassen müssen und war über viele Stufen nach unten ins Freie gelangt.
Dass die Erde in Mexiko gelegentlich kräftig bebt, daran haben sich die meisten Menschen in dem nordamerikanischen Land gewöhnt. Doch der Erreger der Schweinegrippe, der in Mexiko nach Zahlen der Regierung vom Montagabend bisher mindestens 20 Menschen das Leben gekostet hat, ist nicht zu spüren. Viele Menschen scheinen daher immer noch arglos, den Mundschutz binden sich nur wenige vors Gesicht. Häufig dient er lediglich als Halstuch, das rasch nach oben geschoben wird, wenn sich eine Kamera oder ein Fotoapparat nähert.
Noch, denn die Epidemie ist bisher längst nicht eingegrenzt. Bis Montag galten die Maßnahmen gegen die Ausweitung nur für das Hochtal von Mexiko mit seinen gut 20 Millionen Menschen. Gesundheitsminister José Àngel Córdova kündigte an, dass von Dienstag an Kindergärten, Schulen und Universitäten im ganzen Land geschlossen werden. „Wir müssen anerkennen, dass wir im schmerzlichsten Moment der Epidemie sind und dass die Anzahl der Fälle unglücklicherweise noch weiter steigen werden“, erklärte Córdova.
Schleichend werden Schutzmaßnahmen auch auf andere Bundesstaaten ausgedehnt, in denen Menschen an der Schweinegrippe erkrankt oder gestorben sind. In der Stadt Puebla etwa - rund 100 Kilometer östlich von Mexiko-Stadt - wurden am Montag ebenfalls alle Kulturveranstaltungen abgesagt.
Mexiko-Stadt, eine der bevölkerungsreichsten Metropolen der Welt, hatte sich am Wochenende in eine Art Tiefschlaf begeben. Selbst die Lieblingsbeschäftigung der Mexikaner, der Besuch der großen Malls, lockte die Menschen nicht aus ihren Wohnungen. Die riesigen Parkplätze vor den Einkaufszentren, auf denen normalerweise an den Wochenenden viele Tausende Autos stehen, waren leer. In Kaufhäusern waren die Angestellten in der Mehrheit, und am Sonntagabend waren in der gesamten Stadt fast alle Restaurants geschlossen.
Für die Mexikaner sind Krisen und Katastrophen nichts Ungewöhnliches. In dem großen Land sind in der Regel aber immer nur einzelne Regionen, Städte oder gar Bundesstaaten betroffen. So wurde im November 2007 fast der gesamte Bundesstaat Tabasco überflutet. Zehntausende Menschen mussten tagelang auf den Dächern ihrer Häuser ausharren, ehe die Wassermassen abflossen. Jedes Jahr wird das Land von Hurrikans heimgesucht, außerdem müssen die Mexikaner mit Erdbeben und Vulkanausbrüchen rechnen.
Die Virus-Epidemie aber ist eine Bedrohung, die die Menschen nur aus den Geschichtsbüchern kennen. Die katholische Kirche erinnerte die Mexikaner daran, dass sie dem Schicksal möglicherweise ebenso hilflos ausgeliefert seien wie ihre Vorfahren. Kardinal Norberto Rivera rief die Gläubigen auf, zur Jungfrau Maria zu beten, „damit sie die Stadt und das Land von dieser Bedrohung befreit“.
Am Sonntag zog eine Prozession mit einem goldbestickten Baldachin und einer Monstranz durch das historische Zentrum. Sie trug den „Herrn der Gesundheit“ („Jesus am Kreuz“) vor sich her. Die Teilnehmer, einige davon mit Mundschutz, beteten zu Gott und baten um Schutz vor der Schweinegrippe. Der „Señor de la Salud“ hatte zuletzt im Jahre 1691 die Kathedrale von Mexiko verlassen. Damals wurde das spanische Mexiko von der Schwarzen Pest heimgesucht.