Brian Wilson ist mit 70 wieder ein Beach Boy

New York (dpa) - Jahrzehnte lagen sie sich in den Haaren. Jetzt, kurz vor seinem 70., haben Brian Wilson und die überlebenden Beach Boys wieder zusammengefunden.

Ein Pakt für die Zukunft? Oder nur Nostalgie? Ihr neues Album „That's Why God Made the Radio“ (Darum hat Gott das Radio geschaffen) ist ein voller Erfolg. Und ihre Welttournee, ebenfalls zum 50. Jubiläum der Sunshine- und Surfin-Band, ist Abend für Abend ausverkauft.

Selbst an diesem Mittwoch (20. Juni), Wilsons großem Geburtstag, gönnen sich die Grauköpfe keine Pause, sondern spielen vor Fans im kanadischen Montréal. Außer ihm feiern noch zwei weitere Boys in diesem Jahr ihren 70. Geburtstag, Al Jardine und Bruce Johnston. Mike Love, Wilsons Cousin und langjähriger Herausforderer, ist schon 71, David Marks (63) der Jüngste im Bunde. Brians Brüder Dennis und Carl Wilson, Bandmitglieder der ersten Stunde, starben früh.

Die neue Platte „That's Why God Made the Radio“, seit 5. Juni im Handel, eroberte auf Anhieb Platz drei der Billboard-Charts. Mit ihr haben die Beach Boys jetzt die Beatles überrundet. Seit ihrem ersten Top-Ten-Titel „Surfin' USA“ im Juni 1963 sind 49 Jahre vergangen. Die Beatles schafften es 1964 mit „Meet the Beatles“ erstmals unter die ersten der Billboard 200 und zuletzt mit dem Titel „1“ im Oktober 2011, also nur 47 Jahre. Den dritten Rang belegen die „Rolling Stones“, teilte das Branchenmagazin jetzt mit.

Wilson ist der Gründer der Beach Boys. Er war und er ist ihre treibende Kraft. Von ihm stammten die Songs, die eine Generation für das kalifornische Lebensgefühl begeisterten: „Fun Fun Fun“, „Good Vibration“, „Little Deuce Coupe“, „Help Me Rhonda“. Außerdem produzierte er fast alle 20 Beach-Boy-Alben, die von 1962 bis 1969 bei dem Plattenlabel Capitol erschienen und die häufig Goldstatus erreichten.

Doch der selbstauferlegte Druck - Wilson sah sich im Konkurrenzkampf mit den Beatles - forderte schon bald seinen Tribut. Das musikalische Naturtalent hatte Nervenzusammenbrüche, war süchtig nach Tabletten, nahm Haschisch, LSD, irgendwann auch Kokain, um seine Kreativität zu steigern. Gleichzeitig setzten die Ängste ein: Er fürchtete sich vor dem Meer, scheute den Strand und die Sonne. So ließ er den Sand tonnenweise in sein Wohnzimmer laden und tauchte die Füße ein, während er am Klavier saß und neue Songs über das Surfen und die „California Girls“ schrieb.

Tatsächlich gelang ihm 1966 mit „Pet Sounds“ nach Meinung von Kollegen und Experten „das beste Popalbum des 20. Jahrhunderts“. Wilsons Abkehr vom üblichen Schema der Popkompositionen machte „Pet Sounds“ zum Klassiker. Paul McCartney bekannte, das Beach-Boy-Album habe die Beatles zu ihrem eigenen Meisterwerk „Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band“ inspiriert.

Der Drogenkonsum von damals, die vielen Psychopharmaka zur Behandlung von Depressionen, angeblich sogar Schizophrenie, zeichnen Brian Wilson bis heute. Er wirkt hölzern, wenn er auf der Bühne steht. Sein Gesicht ist blass und meist ausdruckslos. Aber er hält das Tempo durch, zieht mit der Band derzeit durch die USA und Kanada, später nach Spanien, Italien, Skandinavien.

Am 3. August tritt Wilson mit den Boys in der Berliner O2 Arena auf, am 4. in Stuttgart und am 5. in Mönchengladbach. Von dort aus geht es weiter nach Japan, Singapur und Australien. Deutsche Fans hatten Wilson in den letzten Jahren auch bei seiner „Pet Sounds“-Tournee erleben können, damals noch mit der Band Wondermints im Tau.

Bald darauf stellte er sein Album „Smile“ fertig, mit fast 40 Jahren Verspätung. Es wurde für drei Grammys nominiert und bescherte ihm seine erste Grammy-Trophäe - für den Titel „Mrs. O'Leary's Cow“ in der Kategorie „Beste instrumentale Rockdarbietung“.

Ob sich die Zeit der Soloalben damit dem Ende zuneigt? Die Jubiläumstournee der alten neuen Beach Boys zeigt nach Einschätzung von US-Kritikern, dass Wilson und sein Cousin Mike Love nach Jahren vor Gericht das Kriegsbeil begraben haben. Ihre Konzerte ließen Harmonie spüren, auch das Album profitiere von der neuerlichen Kooperation. „Back to the Future“ für das Popgenie Brian Wilson.