Der Durchschnittsmensch: Neue Maße braucht das Land
Die Deutschen haben sich verändert. Dank guter Ernährung und medizinischem Fortschritt sind sie gewachsen – und haben an Umfang zugelegt. Jetzt wird die Mode angepasst.
Düsseldorf. Am Bund zu eng, an den Beinen zu weit, an den Knöcheln zu kurz: Der Hosenkauf kann schnell zur Tortur werden. Egal, welches Jeans-Modell man auch wählt - so richtig passen tut’s selten. Und bei Shirts und Blusen sieht es oft nicht besser aus.
Das Problem: Die Deutschen haben sich verändert. Aufgrund von guter Ernährung, medizinischem Fortschritt und optimalen Hygienebedingungen konnten sich die Körper weiterentwickeln. In den vergangenen 30 Jahren sind die Deutschen so im Schnitt größer und breiter geworden. Die Mode ist allerdings nicht mitgewachsen. Denn die Designer arbeiteten bisher mit veralteten Körpermaßtabellen. Das soll sich ändern.
Zwischen Juli 2007 und Oktober 2008 wurden für das Projekt Size Germany deutschlandweit rund 13 300 Männer, Frauen und Kinder im Alter von sechs bis 87Jahren mit modernster 3D-Scanner-Technologie vermessen. Bei Frauen waren zuletzt vor 15Jahren die Körpermaße erfasst worden, bei den Männern lag die letzte Messung sogar schon 29Jahre zurück. Das Ergebnis: Die Durchschnittsfrau ist heute knapp einen Zentimeter größer als 1994. Der Brustumfang nahm um 2,3Zentimeter zu, die Hüfte um 1,8Zentimeter und die Taille sogar um 4,1Zentimeter. Der Durchschnittsmann wuchs seit 1980 um 3,2Zentimeter, an Brust und Hüfte legte er um 7,3und 3,6Zentimeter zu.
Die Studie wurde von mehr als 80 Unternehmen unterstützt, die meisten aus der Modebranche wie etwa C&A, Adidas, New Yorker und Otto. Aber auch Autohersteller haben die Reihenmessung mitfinanziert. Sie erhofften sich Detailkenntnisse über die Proportionen der Deutschen, um den Innenraum ihrer Wagen zu optimieren. "Die Ergebnisse sind sehr wichtig für uns, denn damit können wir etwa die Form der Sitze verbessern und Lenkrad und Pedale optimal anpassen", sagt Ute Mundolf, Pressesprecherin bei Ford.
Denn die Größe eines Menschen wirkt sich direkt auf die Position der Bedienteile aus - wie hoch das Lenkrad in die Konsole integriert ist, wie nah die Pedale montiert und an welchen Stellen die Schienen für den Sitz eingebaut werden. Das sei nicht nur für das Wohlbefinden der Insassen wichtig, sondern auch für ihre Sicherheit. "Solche Ergebnisse haben Auswirkungen auf die Crash-Anforderungen." Etwa auf die Beschaffenheit der Airbags oder der Gurte: Sie müssen auch größere und kräftigere Menschen aushalten.
Umgesetzt werden die neuen Daten nicht von heute auf morgen: "Die Entwickler arbeiten daran. Ich denke, die Autos, die in vielleicht zwei, drei Jahren auf den Markt kommen, werden davon schon profitieren", erläutert Mundolf.
So lange dürften auch diejenigen noch warten müssen, für die Shopping einem Horror-Trip gleichkommt. Denn auch die Modeindustrie braucht Zeit, um ihre Schnitte zu verändern. C&A hat eigens eine Projektgruppe gegründet: "Wir müssen die neuen Maße jetzt auf die einzelnen Produkte umrechnen. Die Ergebnisse sind vielfältig, das müssen wir in Ruhe sortieren, damit für den Kunden auch eine brauchbare Veränderung herauskommt", sagt Yvonne Kochs, zuständig für das Qualitätswesen bei C&A. Bei der Kinderkleidung sei das noch ziemlich einfach, da sei in den meisten Fällen nur etwas an der Länge zu korrigieren. Bei Frauen und Männern wird aber einiges an den Passformen verändert werden müssen.
Breitere Körper bedeuten auch mehr Stoff. Steigen dadurch die Preise für Hemden und Jeans? "Zu den Kosten können wir noch nichts sagen", hält sich Yvonne Kochs bedeckt. Ein gutes Jahr müssen die C&A-Kunden mindestens noch warten, bis die Veränderungen in den Kollektionen zu sehen sind.
Der Textil-Anbieter KiK rechnet nicht mit höheren Preisen für die neuen Produkte: "Preisänderungen oder Umstellungen in diesem Bereich werden nicht an unsere Kunden weitergegeben", heißt es in einer Mitteilung. Um die Auswertungen der Studie in seine Ware einfließen zu lassen, hat das Unternehmen nach eigenen Angaben sein Preislagen-Konzept überarbeitet und Arbeitsprozesse optimiert. Auch dort muss der Kunde noch warten. Aber es dürfte sich lohnen. Nicht nur, weil künftig jedes Teil sitzen sollte, sondern auch, weil sich die Konfektionsgrößen verschieben: Wo "frau" vorher zu 40 greifen musste, darf sie bald bei 38 zulangen - und das wird das Herz höher schlagen lassen.