Der Eismann aus den Bergen

Romeo Saviane kam 1958 bitterarm ins Ruhrgebiet und ist heute in Duisburg ein gemachter Mann.

Duisburg. Ein großer Ernst kennzeichnet Romeo Saviane (69), wenn er nach seinem großen weißen Eis-Spaten greift. Langsam und konzentriert sticht er damit in die Trommel seiner Eismaschine und holt eine cremige weiße Masse hervor. Dies ist der Moment, in dem er beginnt, von seinem Leben zu erzählen.

„Das sind meine Berge“, sagt er und deutet mit einer Bewegung seines Kopfes auf das einzige Bild in seiner schmucklosen Küche. Das Foto zeigt ein Stück Hochgebirge mit Fels und Tanne. Die Dolomiten, seine Heimat. Er ist in dem Dorf Tambre aufgewachsen, in Armut. Der Vater fällte Bäume in den Wäldern, die Mutter starb, als er acht war. „Ich hatte keine Gelegenheit, in die Schule zu gehen.“ Als er 17 war, setzte ihn der Vater in einen Zug nach Norden. Zwei Tage später kam er in einer Stadt an, die ausschließlich aus Kriegsruinen und Fabriken zu bestehen schien: Essen im Jahr 1958.

Mittlerweile hat Romeo damit begonnen, das Eis in einen Behälter aus blinkendem Chrom abzufüllen. Sein blütenweißer Kittel, der mit dem Kragen in den italienischen Nationalfarben Grün-Weiß-Rot etwas von einer Uniform hat, unterstreicht die Gewissenhaftigkeit, mit der er sein Handwerk betreibt.

Als das Eisfach gefüllt und in einem riesigen Kühlschrank verstaut ist, hält er inne und sagt: „Der Beruf des Eismachers hat mir sehr gefallen. Er war ganz anders als Bäume fällen.“ Zunächst durfte er im Eiscafé Toscani nur Becher spülen und Eier aufschlagen. Erst allmählich wurde er in die Geheimnisse der Gelatieri — der Eishersteller — eingeführt. Während dieser Zeit schlief er mit mehreren Angestellten in einem Zimmer. Anfangs konnte er nach Feierabend noch nicht ausgehen, denn Ausländer hatten überall Lokalverbot. Bis es irgendwann hieß: „In Ordnung, du bist einer von Toscani.“

Saviane erlernte das Eismachen, brachte sich ein wenig Deutsch mit einem Grammatikbuch bei, das ihm sein Chef gekauft hatte, servierte und verkaufte Eis, eine Kugel für zehn Pfennig. Wenn Saviane an Essen zurückdenkt, dann kommt ihm „eine große Stadt mit schönen Mädchen“ in den Sinn. Nach zehn Jahren wurde er Geschäftsführer, aber er wollte seinen eigenen Eissalon.

Die Gelegenheit kam, als in Duisburg-Friemersheim eine Eisdiele frei wurde. Sein Vater verkaufte in den Dolomiten eine Wiese, und mit dem Geld konnte sich Romeo in Duisburg einkaufen. Dann kam der Schock: Die Gäste blieben weg. Den alten Inhaber hatten sie gekannt, den neuen nicht — prompt war kein Vertrauen mehr da. „Es war Juli, 30 Grad — und kein Mensch da. Ich war verzweifelt.“

Da kam ihm die Idee, ein Mofa zu kaufen, an einen Badesee zu fahren und dort Eis zu verkaufen. Das bewahrte ihn vor der Pleite. Später lernte er den Orts-Polizisten kennen. „Der hat den Deutschen gesagt: ,Da kann man hingehen.’ Dann lief es plötzlich.“ In einem einzigen Jahr — 1975 — verdoppelten sich seine Einnahmen. Im selben Jahr gewann er bei der Internationalen Eismesse in Italien den Goldpokal mit seinem Zitroneneis und wurde Eismann des Jahres.

Wenn er heute aus seiner Eisdiele auf die Kaiserstraße tritt, grüßt ihn jeder Vorbeigehende, vom Kind bis zur Oma. Seine Eisdiele ist mittlerweile das älteste Geschäft auf der Einkaufsstraße. Aus Saviane ist eine lokale Größe geworden. Zum Glück hat sein Vater all das noch erlebt. Als er schon schwer krank war, hat Saviane ihn im Sommer nach Duisburg geholt. „Er war sehr froh für mich, dass ich’s geschafft habe.“