Der Fußball-Außenminister

Ulrich Waltl sammelt Spiele und Stadien. Er hat fast 800 Partien in 46Ländern gesehen.

Mönchengladbach. Ulrich Waltl steht irgendwo auf Gran Canaria an einem Fußballplatz. Neben ihm sind noch handgezählte vier Zuschauer da, die sich die Partie zwischen Altherren-Mannschaften zweier Dörfer anschauen, deren Namen Waltl kaum aussprechen kann.

Als es wie aus Kübeln zu regnen beginnt, verdrücken sich die anderen Zaungäste. Waltl bleibt. Irgendwann hat der Trainer der Heimmannschaft ein Einsehen und lässt den durchnässten letzten Fan unter das einzig vorhandene Dach: auf die Trainerbank.

Der Deutsche quetscht sich zwischen die kanarischen Bankdrücker. Und endlich traut sich einer zu fragen: "Bist du verrückt, oder warum guckst du dir bei diesem Wetter unser Gekicke mitten in der Pampa an?"

Der 44-jährige Waltl kann darauf nur mit einem Lächeln antworten: Nein, verrückt ist er nicht. Er ist Groundhopper - er sammelt Fußball-Spiele und Plätze ("Ground"). Für ihn ist diese Partie eine von bisher fast 800, die er in insgesamt 46 Ländern gesehen hat.

Seit dem Ende der neunziger Jahre ist er dem Hopping-Virus erlegen. "1997 traf ich bei einem Länderspiel Nordirland gegen Deutschland ein paar Groundhopper. Damals hab ich die auch gefragt, ob sie krank seien." Doch dann probierte er es selbst aus.

Und mittlerweile war er in so ziemlich allen europäischen Ländern unterwegs. Von den Färöern bis nach Malta. Aber auch Mexiko, die USA, den Iran und Japan hat er schon bereist.

Zum Fußball selbst kam der Gladbacher über seine Mutter. Die hat einmal für Rainer Bonhof als Hausverwalterin gearbeitet. Seine erste Eintrittskarte für den Bökelberg bekam er von Bonhof am 13.März 1976 persönlich. Er weiß das Datum ganz genau. Er führt auch über jedes Spiel Buch. Paarung, Ergebnis, Stadion, Zuschauerzahl und Tag.

Waltl besucht die inzwischen verstorbene Mutter bei Heimspielen im Borussia-Park. Dort hat sie einen Fan-Gedenkstein. "Mit dem Friedhof kann ich nichts anfangen", sagt er.

Und wenn die Borussia nicht spielt oder der Versicherungskaufmann Urlaub hat, geht es auf Tour. "Meist mit mehreren Leuten. Aus Kostengründen und wegen der Sicherheit", sagt er. Unzählige Nächte hat er schon im Auto verbracht oder wie bei der WM 2002 in Japan durchgefeiert, um Geld für die Übernachtung zu sparen.

Nur einmal habe er Angst gehabt bei einem Fußball-Spiel. Das war während eines Länderspiels in der Ukraine. "Da wurde jeder Deutsche von einem Soldaten persönlich zur Toilette begleitet. Nicht weil sie Angst vor uns hatten, sie hatten Angst um uns." Ansonsten seien ihm ausschließlich freundliche Menschen begegnet. "Solange man redet, prügelt man sich nicht", sagt er. Fußball verbindet eben.

Waltls Freunde wissen, dass er nicht zum Geburtstag kommen kann, wenn es gilt, den Länderpunkt Slowakei zu machen. Und auch seine Freundin Marlene hat akzeptiert, dass ihr hoppender Ulrich pro Urlaub mindestens ein Fußballspiel sehen will.

"Auf eine Tour ist sie sogar richtig neidisch", grinst Waltl. Er war in Rom, genauer gesagt im Vatikan, beim Klerikus-Cup, Trikottausch mit einem Priester inklusive. Diesen Länderpunkt hat bestimmt nicht jeder. Marlene hat ihm sogar einmal einen Trip nach Andorra geschenkt, zum Fußballgucken versteht sich.

"Jede Reise, jedes Spiel hat eine Geschichte, ein Abenteuer", sagt Waltl. Deswegen wird ihm das immer gleiche Spiel Elf-gegen-Elf auch nicht langweilig. "Mir geht es darum, in Kontakt zu kommen. Mit dem Land, der Kultur und den Einheimischen." Wie ein Fußball-Außenminister.

Zur Völkerverständigung trägt das Borussia-Trikot bei, das er bei jedem Kick trägt. "Man kommt so viel schneller ins Gespräch", sagt der 44-Jährige. Einige Ältere erinnern sich immer noch an die Borussia der Siebziger, die für Furore sorgte. Zumindest in Europa.

Trotz aller Reiselust. Auf Dauer fühlt Waltl sich nur in Mönchengladbach-Wickrath wohl. Draußen in der ländlichen Vorstadt erinnert nichts an die große Fußball-Welt.

An den nächsten Wochenenden geht es auch nicht auf Tour. Die Pflicht ruft. Die Borussia braucht jeden Punkt gegen den Abstieg und natürlich Waltls Unterstützung. Auch wenn er überzeugt ist, dass "wir den Klassenerhalt schaffen": Ob er sich am Ende der Saison zurück in das unaussprechliche Dorf auf Gran Canaria wünscht?