Der Kampf um den Hambacher Forst
Das Gebiet ist mehr als ein Wald — es ist ein Symbol für den Widerstand gegen die Kohle. Und dass es gerodet werden soll, verstehen Gegner als reine Provokation.
Kerpen. Das Gefühl der Beklemmung ist fast greifbar, als die ersten Polizisten am Mittwochmorgen den Pfad in den Hambacher Forst betreten. Es ist ein Moment, den wohl alle Beteiligten mit Bangen erwartet haben: die mit blauen Helmen, Schutzschilden und gelben Leuchtwesten ausgestatteten RWE-Arbeiter, die an diesem Tag Barrikaden und andere Hindernisse vom Boden wegräumen müssen, die Polizisten, die die Arbeiter schützen sollen, und wohl auch die Waldbesetzer, die teilweise seit Jahren hier ausharren. RWE will den Wald roden. Aber das geht nur, wenn vorher geräumt wird.
Schon nach wenigen Metern versperrt eine erste niedrige Barrikade, aufgehäuft aus Stämmen und Ästen, den Weg. Dahinter klebt hoch oben an einem mächtigen Stamm das erste Baumhaus. Etwa 60 gibt es davon mittlerweile im Wald, teils ausgestattet mit Heizung und Küchenzeile. An die Baumhäuser gehen RWE und Polizei an diesem Tag noch nicht ran — zunächst soll lediglich der Boden von „waldfremden Gegenständen“ gesäubert werden. Die Baumhäuser kommen vielleicht später an die Reihe. Und dann irgendwann die Bäume. Denn unter ihnen liegt Kohle. Man befindet sich im Rheinischen Tagebaurevier.
Jetzt bahnt sich ein Bagger einen Weg durchs Gestrüpp und räumt Sperren aus Baumstämmen weg. Die Polizisten und RWE-Arbeiter tasten sich vor. Im Dickicht taucht eine selbstgebastelte Hütte auf. Ist da jemand drin? Die Polizisten umstellen die Behausung, einer schaut rein. „Personenfrei“, meldet er. Es werden noch einige persönliche Habseligkeiten geborgen, dann beginnen die RWE-Leute damit, die Hütte auseinanderzunehmen. Ein Greifer packt alles auf einen Laster.
Etwas weiter in den Wald hinein liegt das Hüttendörfchen „Oaktown“. Aus verschlungenen Ästen haben die Bewohner ein Eingangstor geformt, es erinnert ein bisschen an ein Elbendorf aus „Der Herr der Ringe“. Es gibt eine Art Versammlungsplatz, und drumherum mehrere Baumhäuser. Dazwischen hängen Transparente mit Aufschriften wie „Unser Leben ist keine Geschäftsidee“ oder „Schaukeln ist wichtiger als baggern.“ In den Baumkronen baumeln vermummte Gestalten an Seilen.
Als die Polizei näher kommt und das Dorf umstellt, drohen die Bewohner per Megaphon: „Das werdet ihr büßen!“ Und im Sprechchor: „Wo, wo, wo wart ihr in Chemnitz?“
Nach den Worten von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hat man es bei den Waldbesetzern teilweise mit „extrem gewaltbereiten Linksextremisten“ zu tun. Polizeisprecher Paul Kemen berichtet von sieben verletzten Kollegen in den vergangenen Wochen. Einer habe mehrere Tage im Krankenhaus gelegen.
Wenn Bäume gefällt werden, wird es oft emotional, gerade in Deutschland. „Mein Freund der Baum ist tot, er fiel im frühen Morgenrot“, sang Alexandra schon 1968. Doch der Hambacher Forst steht für viel mehr. Er ist ein Symbol für den Widerstand gegen die Kohle. Eine Kommission in Berlin arbeitet an einem Zeitplan für den Ausstieg aus dem fossilen Energieträger, damit Deutschland seine Klimaziele nach dem Pariser Abkommen erfüllen kann. Und da soll zur selben Zeit noch ein ganzer Wald abgeholzt werden? Für die Gegner wäre das eine beispiellose Provokation. Auch wenn alle Genehmigungen vorliegen.
Im Forst bellen Polizeihunde, am Himmel knattert ein Hubschrauber. Mehrere Dutzend RWE-Arbeiter sind damit beschäftigt, „Oaktown“ abzubauen, jedenfalls am Boden. Das Tor ist schon weg. Möbel, aber auch Zäune und ein mit Nägeln besetzter Autoreifen werden abtransportiert. „Kaputtmachen, das könnt ihr“, schallt es aus den Bäumen. „Dass ihr euch nicht schämt!“ Aber dabei bleibt es. Die Waldbesetzer verharren in sicherer Höhe, und die RWE-Leute und Polizisten bleiben auf dem Blätterteppich am Boden. So kommt man sich nicht in die Quere.
Die Septembersonne bricht durch das Laub der Baumkronen. Am Fuß einer mächtigen Eiche sprießen Pilze. Die wütenden Protestschreie und die Motorengeräusche, die tief aus dem Wald dringen, klingen hier unwirklich. Es ist, als hätte jemand die falsche Tonspur zum Film aufgelegt.