Polizei ermittelt Der König ist tot - Drama bei Schützenfest im Sauerland
Wochenlang fiebern die Marsberger dieser Sause entgegen. Mit Kanonenböllern wird das Schützenfest traditionell eröffnet. Doch dann trifft ein Metallteil den Schützenkönig und die Feier ist mit einem Schlag vorbei.
Marsberg. Wenn ein Prominenter stirbt, wird die Fahne für gewöhnlich auf Halbmast gezogen. Im sauerländischen Städtchen Marsberg sind am Samstag allerorten Hunderte blau-weiße Schützenfahnen vorzeitig eingeholt worden. Hier ist nicht irgendein Promi gestorben, der Schützenkönig selbst ist tot.
Es ist ein Drama: Das größte Fest des Jahres wird in dem 20 000-Einwohner-Ort traditionell um Punkt 12.00 Uhr mit einem Salutschuss aus einer historischen Kanone eröffnet. Doch in diesem Jahr geht das Ritual auf fatale Weise schief. Es böllert, das gusseiserne Kanonenrohr platzt, ein Metallteil trifft den 30-jährigen König in den Bauch. Er ist nicht mehr zu retten.
„Marsberg ist ruhig, Marsberg ist tot.“ Schützenoberst Michael Martin kann es auch Stunden später noch nicht fassen. Der 51-jährige Chef des Schützenvereins sitzt zuhause, es sind viele Bekannte und Freunde da, die jetzt eigentlich ausgelassen tanzen und trinken wollten. „Wir sind alle im Schockzustand. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“ Das dreitägige Schützenfest ist abgesagt. In der verlassenen Schützenhalle steht auf der Bühne nur noch das unbenutzte Schlagzeug des Musikvereins.
Es sind fast 30 Grad, als sich der König, seine Königin und ihr Hofstaat kurz vor Mittag auf dem Schützenberg hoch oben über der Stadt treffen. Die etwa 30 Schützen und ihre Frauen sind noch nicht in voller Uniform und Festkleid, nur die Männer haben ihre Schützenkappen auf. Es wird trotz der Wärme noch kein Bier getrunken. Erst kommt die Ansprache und dann werden die Salutschüsse abgefeuert. So will es die Tradition der Schützenbruderschaft St. Magnus, die es seit 1843 gibt.
Was dann genau geschieht, ermittelt nun die Polizei. Es geht um den Verdacht der fahrlässigen Tötung. Die zwei kleinen, gusseisernen Kanonen standen auf Holzgestellen vor der Schützenhalle, wo bei gutem Wetter getanzt wird. Die Schießrohre waren gen Innenstadt gerichtet. Gezündet wurden die Kanonen nach ersten Erkenntnissen von Mitgliedern eines anderen Vereins. Der Schützenkönig stand nach Angaben des Polizeisprechers Ludger Rath in einer Gruppe mit drei, vier Leuten zusammen. Doch nur er wird von dem wegschießenden Metallteil getroffen. Das Kanonenteil fliegt dann noch durch ein Fenster der Schützenhalle. Oberst Martin sagt: „Es hätte jeden treffen können.“ Polizeisprecher Rath fügt hinzu: „Es hätte noch schlimmer kommen können.“
Schützenoberst Martin hat das Zeitgefühl verloren. Kurz nach dem Unfall treffen Notarzt und Polizei ein. Ein Rettungshubschrauber wird gerufen, der unterhalb der von vielen Bäumen umsäumten Halle landet. Doch der Verletzte ist wohl nicht stabil genug für einen Flug in eine weit entfernte Uniklinik. Der 30-Jährige wird in das nahe gelegene Krankenhaus gebracht. Für die zurückgebliebenen Freunde und Bekannten beginnt nun das Hoffen und Bangen. „Wir haben alle da rumgesessen und gewartet“, erzählt der Schützenchef und bringt kaum mehr einen Ton heraus.
Nach über zwei Stunden kommt die traurige Gewissheit und verbreitet sich in Windeseile: Der König ist tot. Ganz Marsberg fragt sich nun: Wie konnte das passieren? Die Polizei will Zeugen vernehmen, doch fast alle sind unter Schock. Ein Seelsorger und ein psychologisch geschultes Notfallteam kümmern sich um weinende Menschen. „Sie müssen sich auch in der Lage fühlen, mit uns darüber zu sprechen“, sagte Rath. Nun werden die Kanonen untersucht. Waren diese in schlechtem Zustand? Oder war aus Versehen zu viel Schießpulver drin, wie manche vermuten.
Die weiße Fassade und das Fenster seien mit Blut beschmiert gewesen, sagen vier Jugendliche, die am Abend mit einer Kiste Bier unterhalb der Schützenhalle vorbei gehen. Nach Feiern ist ihnen nicht mehr zumute, sie wollen zuhause grillen. Dabei sind drei von ihnen extra aus Wiesbaden angereist, um bei der Sause in der Heimat der Eltern dabei zu sein. „Mit sowas rechnet ja keiner“, sagt ein 19-Jähriger. Weil die Polizei ermittelt, will hier keiner seinen Namen sagen. Der Hausmeister der Halle darf niemanden auf das Gelände lassen und schon gar nicht über das Unglück sprechen.
Vor dem vergitterten und zugeketteten Eingang stehen Trauerkerzen, liegen Blumen und zusammengebundene Schlagzeugstöcke. Am Sonntagmorgen treffen sich die Marsberger zum Trauern in der Kirche. Es sollte eigentlich das traditionelle Schützenhochamt sein. Für Marsberg ist es ein historischer Tiefpunkt.