Der „leeve Jung“ in der Krise

Kölns Oberbürgermeister Fritz Schramma soll interne Sitzungen zum Archiv-Unglück illegal mitgeschnitten haben.

Köln. Ein Ermittlungsverfahren hat dem gebeutelten Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma gerade noch gefehlt. Und die Sache könnte unnötiger nicht sein: Der 61-jährige CDU-Politiker soll interne Sitzungen zum Einsturz des Stadtarchivs illegal mitgeschnitten haben. Für seine Kritiker verfestigt sich damit der Eindruck eines glücklosen Krisenmanagements.

Schramma, der gelernte Latein- und Philosophielehrer, steht schon seit neun Jahren an der Spitze der viertgrößten Stadt Deutschlands, aber bis zum Einsturz des Stadtarchivs am 3. März wurde er auf Bundesebene kaum wahrgenommen. In Köln hängt ihm der Ruf an, zuweilen überfordert, aber dafür nett zu sein - "ene leeve Jung" eben. Für das Kölner Establishment gehörte er nie wirklich dazu.

In Schramma, gebürtig aus dem Volksviertel Nippes, können sich viele Kölner wiedererkennen: Er trägt einen typisch Kölschen Schnäuzer, nimmt alle in den Arm und hat immer den passenden Spruch parat. Allerdings schwingt im kölschen Begriff "leeve jung" auch etwas Abschätziges mit: Wer in der Domstadt so genannt wird, den halten die Leute für naiv, zumindest aber für schnell überfordert und wenig durchsetzungsfähig. Und viele Kölner haben keinen Zweifel daran, dass Schramma wirklich "ene leeve Jung" ist.

So kölsch, so gut. Doch der vermutlich durch den U-Bahn-Bau ausgelöste Einsturz des Stadtarchivs hat alles verändert. Das scheinbar unerschütterliche Selbstbewusstsein der Kölner hat einen Knacks bekommen. Immer wieder aufs Neue zitierte Lebensweisheiten wie "Et kütt, wie et kütt" (Es kommt, wie es kommt) oder "Et hätt noch immer jot jejange (Es ist noch immer gut gegangen) erscheinen jetzt wie eine Verhöhnung der Opfer. Mit einem Mal ist von einer "Mentalität des fahrlässigen Optimismus" die Rede. Und der immer etwas hemdsärmelig agierende OB gilt vielen geradezu als die Personifizierung dieser in Verruf geratenen Laissez-faire-Haltung.

Der Gemütsmensch Schramma ist tief getroffen durch das Unglück, zumal er vor einigen Jahren selbst seinen Sohn durch einen Unfall verloren hat. Aber präzise Formulierungen waren noch nie seine Stärke. Kopfschüttelnd hatten viele Kölner bereits am Tag nach dem Hauseinsturz die Äußerungen ihres Oberbürgermeisters über den U-Bahn-Bau zur Kenntnis genommen. Erst nannte der aus seinem österreichischen Urlaubsort nach Köln heimgeeilte Schramma den Bau von U-Bahnen in Innenstädten "fast unverantwortlich".

Binnen Stunden ruderte er dann zurück, um tags darauf eine "Atempause" beim Bau der Kölner Nord-Süd-Stadtbahn zu fordern. Auf seine öffentlichen Appelle, die Bauarbeiten wenigstens vorübergehend einzustellen, reagierten die Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB) zunächst gar nicht. In der Lokalpresse heftig kritisiert wurden auch seine Beteuerungen, der U-Bahn-Bau falle nicht in seine Verantwortung. Die SPD im Kölner Rat sah die Domstadt unter Schrammas Krisenmanagement auf dem Weg in eine "rheinische Bananenrepublik".

Jemand, der wie Schramma kein Verwaltungsexperte ist, sondern ein Mann des Volkes, kann in einer Großstadt nur bestehen, wenn er sich mit loyalen Fachleuten umgibt. Inzwischen steht Schramma aber mit einer ganzen Reihe seiner Dezernenten auf Kriegsfuß. Hat er deshalb die Sitzungen mitgeschnitten? Oder war es pure Gedankenlosigkeit?

Schramma findet die Vorwürfe gegen ihn unfair und billig. Es sei "absurd" ihm vorzuwerfen, er wolle Leute abhören. Das Aufnahmegerät sei eine "Riesenkiste" gewesen, und alle 45 Minuten seien geräuschvoll die Tonbänder gewechselt worden. "Was ich hier in weiten Teilen erleben musste und muss, hat mit Zusammenstehen nichts zu tun", klagt Schramma. Man solle ihm nicht "dauernd Stöcke zwischen die Beine werfen. Lasst uns die Probleme lösen und keine konstruieren".

In der zweiten Jahreshälfte muss sich Schramma zur Wiederwahl stellen, sein rot-grüner Gegenkandidat ist der ehemalige Kölner Regierungspräsident Jürgen Roters (60). Seine Popularität war bisher Schrammas großer Trumpf. Wenn er sie einbüßen sollte, könnte sich die Kölner CDU noch im Sommer nach einem neuen Spitzenkandidaten umsehen.