Der weibliche Kick

Tipp-Kick: Das Spiel per K(n)opfdruck steht nach 88Jahren vor einer kleinen Revolution - der Figur mit Brüsten.

Düsseldorf. "Matthäus, Traumpass Völler...aber dann wechselt der Ball die Farbe. Die Argentinier sind wieder am Zug."

Bastian spielt im Kinderzimmer das Finale der Fußball-Weltmeisterschaft1990 nach. Mit Tipp-Kick. Mit seinem Vater. Der hat mit Bastians Großvater schon die Frankfurter Wasserschlacht von 1974 gegen Polen simuliert. Und der Opa hat mit seinem Vater die "Schäfer, nach innen geflankt, aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen"-Szene sicher tausendmal nachgestellt - und kommentiert.

Das Spiel mit dem eckigen, zweifarbigen Ball und den Kickern, die per Knopfdruck auf den Kopf das Schussbein schwingen, hat Tradition. Männliche Tradition. Die Leidenschaft für den Kick mit den kleinen Figuren wurde über Generationen von den Vätern an die Söhne weitergegeben. Genau wie das Unternehmen Mieg, das die Spiele herstellt. Edwin Mieg hat es 1923 gegründet, heute wird es in vierter Generation von Mathias und Jochen Mieg geführt.

Doch die Tipp-Kick-Welt steht vor einer Revolution. Die ist etwa acht Zentimeter hoch und aus Gusseisen. Sie trägt ihre braunen, schulterlangen Haare offen. Und sie sieht ein bisschen aus wie Torsten Frings - aber mit Brüsten.

Nach fast 88Jahren laufen bald erstmals weibliche Tipp-Kicker auf dem grünen Filz auf. Im September geht "Mieg Spiel+Sport" mit einer Stückzahl von 5000 Spielen an den Markt. "Ladys Competition" wird Tipp-Kick für Mädchen heißen. Die Spielfiguren werden in den deutschen und brasilianischen Farben bemalt sein. Der Klassiker.

Die Frage, warum gerade jetzt, ist schnell beantwortet: "Mit dem Fokus auf die Frauen-WM 2011 im eigenen Land erhoffen wir uns eine große Nachfrage", sagt Geschäftsführer Mathias Mieg. Warum es in Zeiten, in denen die deutschen Fußballerinnen Titel in Serie gewinnen und der Frauenanteil in den Bundesliga-Stadien stetig steigt, überhaupt so lange gedauert hat, bis Tipp-Kick weiblich wurde? Das liege an der Tradition des Spiels, das sich seit 1923 fast nicht verändert habe. Im echten Fußball dauerte es schließlich auch Jahrzehnte, bis Frauenfußball salonfähig war.

In der organisierten Tipp-Kick-Fangemeinde steht man der Birgit Prinz, die auf K(n)opfdruck Tore schießen soll, amüsiert bis skeptisch gegenüber. "Die weiblichen Figuren sind eine schöne Idee, vor allem die Torhüterin ist echt süß", sagt Birgit Kirschner aus Bergisch Gladbach. Die 27-Jährige ist eine von rund 20Spielerinnen, die im Deutschen Tipp-Kick-Verband etwa 550Männern gegenüberstehen. Sie spielt für ATK Abartika in der Regionalliga und war von 2006 bis 2008 Deutsche Meisterin.

Ob die Tipp-Kick-Frau überhaupt in den Spielen von Bundes- bis Verbandsliga eingesetzt werden darf, ist ein Politikum. "Wir werden am 12.Juni auf unserem Bundestag in Hannover demokratisch darüber abstimmen", sagt Christian Lorenzen, der Bundesspielleiter. Für ihn ist die Kickerin nicht mehr als ein guter Promotion-Schachzug zur Frauen-WM 2011.

Birgit Kirschner bezweifelt ebenfalls, dass die Frau den Sprung in die Stammelf der Tipp-Kicker schafft: "Die Spielerinnen sind taillierter und ein wenig kleiner als ihr männliches Pendant. Sie haben also leider weniger Abwehrfläche. Da fehlen ein paar Millimeter. Außerdem prallt der Ball an der Brust anders ab."

So sachlich wurde über die Oberweite der Miniatur-Spielerinnen im Entstehungsprozess nicht diskutiert. Die Miegs wollten auf keinen Fall, dass ihr Spiel sexistisch wird. Ein Modell mit größerem Brustvolumen wurde schnell verworfen.

"Da gab es gleich anzügliche Witze in der Firma", sagt Mathias Mieg. Statt für die kickende Barbie entschieden sich die braven Schwarzwälder für das Modell Sport-BH. Leider, findet zumindest Birgit Kirschner: "Wenn schon eine weibliche Figur gemacht wird, dann sollte die auch weiblicher gestaltet werden. Ruhig mit mehr Oberweite und einem filigraneren Gesicht. Sie hat ein vorgeschobenes Becken und sieht, ehrlich gesagt, ein wenig unförmig aus."

Aber im Becken muss nun einmal Platz für die Mechanik sein. Sonst folgt auf den Tipp kein Kick. Bundesspielleiter Lorenzen fürchtet, die Profis könnten in der Hitze des Gefechts am Busen der Kickerinnen abrutschen.

Mieg ist überzeugt, dass er mit "Lady Competition" die 50000 Euro, die die Gussform gekostet hat, wieder erwirtschaftet: "Das Spiel wird sich etablieren. Die ganz große Stückzahl werden wir aber wohl nicht verkaufen."

Tipp-Kickerin Kirschner ist pessimistischer: "Ich glaube nicht, dass sich Tipp-Kick bei den Mädchen durchsetzen wird. Voraussetzung ist immer noch eine gewisse Fußballbegeisterung." Und die werde sich bei den Mädchen auch durch die Frauen-WM nicht unbedingt steigern, schätzt Kirschner, die selbst über ihren Vater und den Bruder zu Tipp-Kick kam.

In Jahren ohne Fußball-Welt- und Europameisterschaft verkauft Deutschlands kleinster Spielwarenhersteller etwa 60000 Tipp-Kick-Spiele. Beim Sommermärchen2006 waren es 200000. Und es hätten wesentlich mehr sein können, wären die Miegs nicht an ihre Produktionsgrenzen gestoßen.

WM-Jahre sind fette Jahre für die Firma. Seit 1974 werden zu jedem Turnier Sonder-Editionen mit Kickern in den Nationaltrikots der Teilnehmerländer bemalt. So können die legendären WM-Szenen auch Jahrzehnte später noch originalgetreu nachgespielt werden. Wieder und immer wieder - zum Glück. Nicht auszudenken, was passiert wäre, hätte der Ball kurz vor dem Elfmeterpfiff im echten Finale von 1990 plötzlich die Farbe gewechselt...