Design: Das Hello-Kitty-Syndrom
Warum die japanische Comic-Katze seit genau 35 Jahren auf Kinder und Erwachsene gleichermaßen anziehend wirkt.
Düsseldorf. Die Umrisse ihres Gesichts könnte ein sechsjähriges Kind ohne große Schwierigkeiten zu Papier bringen. Noch schwarze, stecknadelgroße Augen, einen gelben Punkt als Nase und eine rote Schleife auf den weißen Untergrund gekritzelt - fertig ist "Hello Kitty", mit der der japanische Unterhaltungskonzern Sanrio jährlich mehr als eine Milliarde Dollar verdient.
Die Comicfigur feiert in diesem Monat ihren 35. Geburtstag und begeistert noch immer weltweit die Massen. Ob in den USA, in Japan oder in Europa - überall hat das Kätzchen eine riesengroße Fangemeinde.
Als Kindermarke in den 70er Jahren gestartet ist "Hello Kitty" mittlerweile zu einem Label mutiert, zu dem sich auch Stars und Sternchen jenseits der 25 bekennen. Wenn Paris Hilton mit ihren babyrosa gefärbten Zehn-Zentimeter-Absätzen über den Roten Teppich stöckelt, trägt sie nicht selten das Kätzchen in Form einer Tasche mit sich herum, Sängerin Katy Perry hat sogar ihre Tournee nach der Mieze benannt. Und auch Mariah Carey sammelt die Kuschel-Katzen, um sie in einem ihrer zahlreichen Schlafzimmer auf dem Bett zu türmen und sie beim Besuch eines MTV-Kamerateams kokett in die Linse halten zu können.
Doch warum hält die Liebe zu "Hello Kitty" bis ins Erwachsenenalter? Was hat Kitty, was nicht auch Samson und Tiffy haben? Unter Designern hat sich längst der Begriff "Hello-Kitty-Syndrom" etabliert. "Dieses Katzen-Gesicht entspricht dem Kindchen-Schema, obwohl oder gerade weil es keinen Mund und deshalb eigentlich auch keinen Gesichtsausdruck hat", sagt Lars Roth, Lehrbeauftragter für Mediendesign an der Hochschule der populären Künste in Berlin.
Er hat sich mit dem Phänomen beschäftig, greift auf eine US-Studie zurück. "Man weiß bei der Figur nicht, ob sie traurig oder fröhlich ist." Ihr Gesicht sei eine leere Leinwand, auf die jede Emotion projiziert werden könne. Das mache "Hello Kitty" zu einer beliebteren Figur, an der man sich weniger leicht sattsieht.
"Die Neutralität des Gesichts lässt keine Diskrepanz zwischen der Figur und dem Betrachter entstehen", sagt Roth. Wenn jemand schlecht gelaunt nach Hause komme, werde er also nicht von einer grinsenden Comicfigur, sondern von einem neutralen Gesicht empfangen, das seine jeweilige Gefühlslage wie eine Leinwand adaptiert.
Warum aber gerade Erwachsene den Kitty-Trend verfolgen, will die "Kidult"-Theorie aus der Werbung erklären. Der Begriff setzt sich zusammen aus den Worten Kid (englisch für Kind) und Adult (englisch für Erwachsener).
Die Theorie besagt, dass es eine Generation von jungen Erwachsenen gibt, die sich weigern, erwachsen zu werden, Verantwortung zu übernehmen und ihre Kindheit verlängern wollen. "Sie suchen nach Rückzugsräumen, in denen alles phantasievoller und spielerischer ist", erklärt Roth. Und in diese Rückzugsräume passt "Hello Kitty" samt ihrer Produkte perfekt hinein. "Zu dem Hype beigetragen hat natürlich auch der Asien-Trend, der heute auch in Mangas Ausdruck findet, und sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesteigert hat."
20 000 Kitty-Produkte vertreibt Sanrio weltweit. Von Toilettendeckel oder -Bürste, Salz- und Pfefferstreuer über Toaster oder Bettwäsche - mittlerweile können sich Fans ihren gesamten Haushalt mit Kitty-Aufdruck ausstatten. Als das Katzengesicht 1974 erstmals auf einem Kindergeldbeutel in Sanrios Läden erschien, bescherte es Sanrio innerhalb von drei Jahren eine Versiebenfachung seines Umsatzes.
Geboren wurde Kitty aus einer Marktstudie: Shintaro Tsuji, japanischer Lizenznehmer von Snoopy und Barbie, kam auf die Idee, eigene Kunstfiguren zu entwickeln. Aus Umfrageergebnissen über japanische Konsumgewohnheiten schloss er, dass kleine Mädchen Katzen und die Farbkombination Weiß-Rot lieben. Jungdesignerin Yuku Shimizu malte daraufhin die weiße Mieze, die auch noch mit 35 Jahren auf dem Katzenbuckel Kinder, Erwachsene, Promi-Damen oder einfach nur Kindgebliebene entzückt.