Deutschlands ältester Schiedsmann geht in Rente
Der Essener Heinrich Bauer, mit 91 Jahren ältester Schiedsmann, hört auf.
Essen. Manchmal reicht ein qualmender Gartengrill, um Nachbarn zu erbitterten Feinden zu machen. Auch fiese Beleidigungen, wildwucherndes Gestrüpp, kläffende Hunde oder das nächtliche Schlagen von Autotüren können einen Dauerkrach zwischen Tür an Tür lebenden Menschen auslösen. Der älteste Schiedsmann Deutschlands kann ein Lied davon singen. Doch zum Jahresende legt der 91 Jahre alte Heinrich Bauer aus Essen sein Amt nieder. „Er ist ja auch schon nah am Himmel“, sagt seine Frau Anna (88).
35 Jahre hat Bauer im Bezirk Essen-West von Amts wegen geschlichtet, wenn Privatleute Zoff miteinander hatten. „Ich hab die Leute erst immer ausbrüllen lassen“, sagt Bauer. Dann habe die Schlichtung meistens Erfolg gehabt. 70 Prozent aller Streitigkeiten konnte er außergerichtlich lösen. Dabei war sein Start als Schiedsmann 1977 holprig: sieben Fälle, keine Einigung. „Da wollte ich das erst wieder los werden“, erzählt er.
Doch Bauer entwickelte Ehrgeiz und behandelte in seinem Wohnstübchen in einem sozialen Brennpunkt der Ruhrpott-Stadt mehr als 1000 Fälle. „Als die Kinder aus dem Haus waren, hab ich mir im alten Kinderzimmer ein Schiedszimmer eingerichtet“, sagt Bauer, der früher Programmierer bei der „Ruhrkohle AG“ war. Danach versuchte er, in seinem Umfeld Frieden zu stiften — und wurde Schiedsmann.
Wer in Nordrhein-Westfalen wegen Beleidigung, Körperverletzung oder Sachbeschädigung zivilrechtlich gegen einen anderen vorgehen will, muss sich zuerst an einen der rund 5024 Schiedsmänner oder Schiedsfrauen wenden. Das hat der Gesetzgeber so eingerichtet, um die Gerichte zu entlasten.
Die Richter kommen zum Zug, wenn kein Frieden gestiftet werden kann. Wie viele dieser Streitigkeiten vor Gericht landen, ist kaum zu sagen, sie werden nicht eigens erfasst. Wurden die Schiedspersonen alarmiert, bestellen sie die Parteien ein. Wer nicht kommt, riskiert ein Ordnungsgeld. Die Schiedspersonen versuchen, mit den Parteien einen Lösungsvorschlag zu erarbeiten. „Das sieht in der Regel so aus, dass es einen Kompromiss gibt“, sagt der NRW-Landesvorsitzende Jürgen Hupperts aus Monheim.
Mancher Fall ist gar kein Fall, wie ein Beispiel aus dem Schiedsmann-Leben von Heinrich Bauer zeigt. „Eine Frau hat mal bei mir angerufen und mir erzählt, dass ihr Nachbar furchtbare Geräusche mache.“ Beim Besuch vor Ort fragte die Dame: „Hören Sie die Maschinen?“ Doch es war mucksmäuschenstill. Bauers Rat: ein Besuch beim Arzt. Die Diagnose: Tinnitus.
Besonders zur Grillsaison im Sommer haben Schiedsleute Hochkonjunktur, aber auch zwischen den Feiertagen gibt es viel zu tun. „Zwischen Weihnachten und Neujahr, da haben die Leute genug Zeit, um zu streiten“, sagt Bauer.
Viele Fälle sind überflüssig, aber dennoch sind Schiedsleute wichtig für die Gesellschaft, findet Deutschlands ältester Schiedsmann: „Bei mir hatten auch die kleinen Leute immer das Gefühl, gerecht behandelt zu werden.“ Mit seinen 91 Jahren wünscht sich Bauer aber mehr Gelassenheit: „Viele Menschen machen es sich unnötig schwer. Am schlimmsten sind Lehrer.“