Die Eiserne Lady im Schatten ihrer Erinnerung

Margaret Thatcher leidet an schwerer Demenz. Dass hr Ehemann schon vor acht Jahren gestorben ist, weiß sie nicht mehr.

London. Sie weiß nicht mehr, dass ihr Mann gestorben ist. Sie verliert mitten im Satz den Faden, ihre Erinnerungen und das Zeitgefühl: Margaret Thatcher (82) leidet an Demenz. In einem erschütternden Buch hat Carol Thatcher nun die Lebensgeschichte ihrer Mutter aufgeschrieben.

Aan einem Sommertag acht Jahren lud Carol Thatcher ihre Mutter zum Mittagessen einl Ein schwieriges Unterfangen, denn "Mrs. T." ist nicht der Typ Frau, der ausgedehnte Lunch-Verabredungen am Hyde Park annimmt. Doch die Eiserne Lady sagte zu, und ihre Tochter erwartete wie immer eine schlagfertiges, blitzgescheites Alphatier, das mit der Rente nicht aufgehört hatte, eigensinnig und brillant zu philosophieren. Doch an jenem Mittag verwechselte die Eiserne Lady den Falklandkrieg mit dem in Jugoslawien, bevor sie etwas murmelte und schließlich ganz schwieg.

"Ich fiel fast vom Stuhl", schreibt die Tochter in einem Vorabdruck der Memoiren in der "Daily Mai"l. "Ich konnte einfach nicht glauben, dass sie um Worte und Erinnerungen ringen musste. Sie war zwar 75 Jahre alt, aber ich hatte sie immer für zeitlos gehalten, für hundert Prozent guss-eisern und unversehrt." Der Schock sei umso größer gewesen, weil gerade ein exzellentes Gedächtnis zu Thatchers Markenzeichen gehörte. "Bei Wirtschaftsdiskussionen im Parlament zitierte sie die jährlichen Inflationsraten zurück bis 1850."

Nach diesem Mittagessen im Sommer 2000 und mehreren Schlaganfällen verdichteten sich die Zeichen, dass sich Thatchers Zustand verschlechterte. Heute weiß sie nicht einmal mehr, dass ihr Ehemanns Denis tot ist. "Ich muss ihr die schlechte Nachricht immer wieder aufs Neue überbringen", schreibt Carol. "Und jedes Mal, wenn sie die Botschaft auf sich hat wirken lassen, schaut sie mich traurig an. Während sie um Fassung ringe, sagt sie leise: ’Oh, waren wir denn alle bei ihm?’"

In ihrem Buch, das am 4. September in England erscheint, beschreibt Carol Thatcher die Krankheit ihrer Mutter nicht nur als Alterserscheinung. Die Ikone der Konservativen scheint auch mit Veränderungen wie dem Rückzug aus der Downing Street kaum fertig geworden zu sein. Nach ihrem politischen Ende habe ihr Fahrer das Regierungsviertel weit umkurvt, denn sie erwartete immer, dass er an der Downing Street abbiegt. Bei den Fernsehnachrichten habe die Ex-Premierministerin oft schon die Hand am Telefonhörer gehabt - bis ihr klar wurde, dass die Probleme dieser Welt nun die Probleme anderer Staatschefs seien.

In Großbritannien gehen die Meinungen über die Veröffentlichungen Carol Thatchers auseinander: Innerhalb weniger Stunden äußerten Hunderte bei der BBC ihr Mitgefühl. Während einige das Buch als unzulässigen Eingriff in die Privatsphäre einer hilflosen Politikerin verurteilen, begrüßen andere den menschlichen Blick auf eine Frau, die wie keine andere ihren Panzer aus Härte und Kompromisslosigkeit gepflegt hat.