Die Gastgeber des Eurovision Song Contest: Das neue, alte Baku
Aserbaidschan muss viel Kritik einstecken — vor allem von den eigenen Landsleuten.
Baku. Bissig fegt der Wind am Kaspischen Meer um Aserbaidschans neuesten Stolz. Crystal Hall heißt die Arena, die Deutsche für den Eurovision Song Contest (ESC) gebaut haben. Das Bauwerk auf einer Landzunge, die vor kurzem noch eine Militärbasis mit rostenden Kriegsschiffen aus Sowjetzeiten war, ist vor allem Ausdruck des neuen Selbstbewusstseins dieser öl- und gasreichen Republik.
Gut 20 Jahre nach dem Zerfall des Sowjetimperiums erstrahlt zumindest die Hauptstadt Baku mit ihren zwei Millionen Einwohnern in einem Glanz, der andere Orte im Südkaukasus erblassen lässt. Vor der Arena flattert am höchsten Fahnenmast des Landes das Symbol für die 1991 von Moskau erlangte Unabhängigkeit: die blau-rot-grüne Staatsflagge mit Stern und Halbmond.
Auf der hellen Uferpromenade bummeln westlich gekleidete Aserbaidschanerinnen durch die grünen Parkanlagen mit Palmen, Springbrunnen und für dortige Verhältnisse teuren Cafés.
Der autoritäre Präsident Ilcham Alijew sieht sein Land in Nachbarschaft zur Türkei als Teil von Europa, weltoffen und nach Westen orientiert, obgleich ihm gerade von dort immer wieder scharfe Kritik entgegenschlägt. Aber auch unter Alijews Landsleuten wächst der Frust, weil viele Aserbaidschaner das Gefühl haben, auf der Strecke zu bleiben. Der Reichtum kommt nur wenigen zugute.
„Wenn du anders bist, anders denkst, dich nicht mit dem Regime arrangierst, dann wirst du wie ein verrücktes Tier behandelt“, sagt der Musiker Jamal Ali. Der 24-Jährige saß im März zehn Tage im Gefängnis und bezog dort zweimal Prügel, wie er in einem der vielen westlichen Lokale der Stadt erzählt. Er hatte bei einem öffentlichen Konzert Alijews Familie verflucht.
Immer wieder prangern die Oppositionsparteien Menschenrechtsverstöße an: Willkürjustiz und Haft für Andersdenkende, eingeschränkte Meinungs- und Versammlungsfreiheit und Gewalt gegen Journalisten. Vor allem aber treiben Zwangsenteignungen die Menschen auf die Straße. Viele Einwohner sehen sich auf brutale Weise aus ihren Häusern geworfen und ungerecht entschädigt.
Um dem neuen Prunk Platz zu machen, sind seit 2009 rund 4000 Gebäude abgerissen worden, wie unabhängige Experten schätzen. Unzählige Architekturdenkmäler sind dem Bauboom zum Opfer gefallen.
In Itscheri Schecher hat das alte Baku aber noch ein Zuhause. So heißt der geschützte historische Teil der Stadt. Zwischen den verwinkelten Gassen der Altstadt, die seit 2000 als Weltkulturerbe unter Unesco-Schutz steht, blitzt immer wieder das Wahrzeichen des neuen Baku hervor: drei spitze Hochhäuser, Flame Towers (Flammentürme) genannt. Dort zeigt sich Aserbaidschan von seiner schillerndsten Seite. Doch kritische Stimmen warnen davor, sich von diesem Glanz der Hauptstadt blenden zu lassen.