Ostern Die Handwerker des Osterlichts

Im Kölner Traditionsbetrieb Joh. Schlösser werden hochwertige Kerzen gefertigt — seit Jahrzehnten auch für den Kölner Dom.

Foto: Ekkehard Rüger

Köln. Das Geheimnis des Glaubens beginnt in einem 90 Grad heißen Wachsbad. Ein Endlosdocht wird über zwei Walzen immer wieder durch das flüssige Gemisch aus Paraffin, Stearin und zehn Prozent Bienenwachs gezogen. Pro Stunde wächst der Kerzenstrang so im Durchmesser um einen Zentimeter. Bei sechs Zentimetern ist Schluss. Aber für die Osterkerze im Kölner Dom reicht das noch lange nicht.

Foto: Ekkehard Rüger

Nicht nur deshalb steht in der Produktionshalle der Firma Joh. Schlösser in Köln-Marsdorf wenige Meter entfernt auch eine Karussell-Tauchanlage. Hier erhalten die Kerzenrohlinge ihre endgültige Stärke und zugleich durch eine andere Zusammensetzung des Wachsgemischs eine stabilere Außenschicht. Denn eine Altarkerze muss standhaft sein — gegen Zugluft und Gebläseheizungen.

Foto: Ekkehard Rüger

Heute Abend um 21.30 Uhr, wenn vor dem Westportal des Kölner Doms das Osterfeuer brennt und die Osternacht beginnt, wird die größte Kerze, die das 253 Jahre alte Familienunternehmen Schlösser im Jahresverlauf produziert, an den Flammen entzündet werden. Sie wird für einen Moment das einzige Licht sein, das eine der größten gotischen Kathedralen der Welt erleuchtet. Dann ertönt der Ruf „Lumen Christi“ und das Licht wird weitergereicht. Das Dunkle und der Tod sind überwunden, das Licht und das Leben haben gesiegt. Eine Kerze als Auferstehungssymbol.

Foto: Ekkehard Rüger

Bei Schlösser ist die Bestellung der Domküster schon Routine. „Mindestens seit der Nachkriegszeit“ beliefere man die Bischofskirche, sagt Stephan Zimmermann, der das Familienunternehmen in der achten Generation leitet. „Bei der Bestellung wird gar nicht mehr die Größe mitgeteilt, sondern nur noch der Standort. Den Rest haben wir gespeichert.“

Insgesamt drei Osterkerzen finden im Kölner Dom ihren Platz: die größte in der Vierung, zwei weitere in der Sakramentskapelle und vor dem Lochner-Altar. Der Grund ist einfach: An der einen Stelle werden die Werktagsmessen im Winter, an der anderen im Sommer gefeiert. Um die Osterkerze nicht immer hin- und hertragen zu müssen, gibt es halt drei. Die Verzierung ist bewusst tief angesetzt, damit die Kerzen lange brennen können, ehe sie beschädigt wird.

Dass in der imposantesten Kirche des Erzbistums Köln auch die imposanteste Osterkerze zu finden ist, war nicht immer so. Als Stephan Zimmermann 1983 Mitgeschäftsführer des Unternehmens wurde, zog er einen der Domküster auf: „Ihr habt die kleinste Osterkerze im ganzen Bistum.“ Dass wollten weder der Küster noch der damalige Domprobst Heinz Werner Ketzer auf sich sitzen lassen. Nach entsprechenden Nachforschungen gab es im nächsten Jahr eine 1,20 Meter große und zwölf Zentimeter starke Osterkerze. Gesamtgewicht: gut zwölf Kilo.

Stephan Zimmermann in den 80er Jahren zu einem Domküster

Mit beinahe dramatischen Folgen: Schmunzelnd erzählt Zimmermann, wie der schon ältere Diakon, der damals die Kerze in den Dom tragen musste, wegen des Gewichts zu wanken begann und beim langen Gang zum Ständer gestützt werden musste.

Bis heute steckt in der Osterkerze viel Arbeit: ein Tag an der Zugmaschine, sechs Tage in der Tauchanlage. Dann muss sie noch geschnitten, an Kopf und Fuß bearbeitet werden. Besonders heikel ist die Bohrung für den Dorn des Ständers. Der größte Dorn des Bistums befindet sich im Übrigen nicht im Kölner Dom, sondern im Kloster Knechtsteden bei Dormagen. Dort ist er unten fünf Zentimeter breit und bis zur Spitze 20 Zentimeter lang. Die Bohrung so hinzubekommen, dass die Kerze am Ende auch gerade steht, ist eine Kunst.

Die Monate vor dem Osterfest sind für das Kölner Traditionsunternehmen die umsatzstärksten des Jahres, noch wichtiger als die Weihnachtszeit. Das fängt schon mit Maria Lichtmess am 2. Februar an, wenn traditionsbewusste Katholiken sich ihr Kerzensortiment für das gesamte Jahr segnen lassen. 85 Prozent des Jahresumsatzes macht die Firma mit ihren 18 Mitarbeitern im kirchlichen Bereich, „aber es wird die größte Herausforderung für uns, neue Standbeine neben der Kirche zu finden“, sagt der 58-jährige Geschäftsführer. An der Frage wird sich entscheiden, ob sein ältester Sohn eines Tages die lange Familientradition fortführen wird. Denn Kirchenschließungen und Gemeindezusammenlegungen lassen den Kerzenbedarf spürbar schrumpfen.

Immerhin: Auf dem Kerzenmarkt ist man für die ökumenische Idee längst Feuer und Flamme. Im Schaufenster des Verkaufsladens vor der Produktionshalle wird eine große Kerze zum Reformationsjubiläum präsentiert — mit Luther-Konterfei und dem Evangeliumszitat „Am Anfang war das Wort“. Über den inzwischen verstorbenen Kölner Pfarrer Uwe Seidel ist Zimmermann auch zum Kerzenlieferanten für die Evangelischen Kirchentage geworden. Höhepunkt war Hamburg 2013, als beim Abend der Begegnung 100 000 Schlösser-Kerzen in einem Windschutz aus nicht brennbarem Papier rund um die Binnenalster entzündet wurden. Zimmermann ist überzeugt: „Wir schöpfen die Möglichkeiten noch gar nicht aus, die wir in der Ökumene haben.“ Die frühere protestantische Abneigung gegen jede Kerzensymbolik sieht er jedenfalls schon überwunden. „Da hat sich etwas bewegt.“

Für Zimmermann sind Kerzen aber auch in seinem privaten Alltag „lebensnotwendig“: „Ein Freund hat einmal an Weihnachten alle Kerzen in unserem Haus gezählt und ist auf 60 gekommen, davon 25 am Weihnachtsbaum.“ Kerzenlicht bedeutet für ihn Gemütlichkeit, Wärme, Geborgenheit. Dafür nimmt die Familie dann auch in Kauf, dass öfter mal gestrichen werden muss. Denn im Hause Zimmermann dürfen Kerzen noch rußen. Das ist nicht zu vermeiden, wenn das Licht nicht zu klein ausfallen soll.

Das gilt auch für Osterkerzen. Früher, als es noch drei Messen in Folge gab, brannten sie einen ganzen Vormittag. Heute, bei oft nur noch einer Messe, brennen sie gerade noch anderthalb Stunden. „Für eine dicke Kerze ist das Gift.“