Die heile Welt liegt in Scherben

In dem kleinen Dorf nahe der Ostseeküste suchen die Menschen nach Erklärungen.

<strong>Darry. Der Garten wirkt wie ein kleines Paradies für Kinder: Rote Rutsche, rotes Plastikauto, bunte Kinderschaukel, Sandkasten und Mini-Hüpfburg. Am Donnerstag stehen sie verwaist im Garten der Straße Sehden Nummer 9 im kleinen Dorf Darry im Osten Schleswig-Holsteins, vor der Haustür liegen von Nachbarn gebrachte Blumen. Justin, Jonas und ihre drei Brüder werden hier nie mehr lautstark toben. Die Mutter soll die fünf Jungen im Alter von drei bis neun Jahren am Mittwoch in dem weißen Klinkerhaus mit Tabletten betäubt und anschließend erstickt haben. Sie rief selbst die Polizei und kam vorerst in eine Psychiatrie. In der Klinik gesteht sie die Tat.

"Das ist eine Tragödie, ich weiß einfach keinen Grund dafür", sagt Nachbar Karl Först, der von seiner Haustür aus direkt auf den Garten des schlichten Einfamilienhauses blickt. "Warum, weshalb, wieso - man weiß es nicht." Was sich hinter den heruntergelassenen Jalousien und zugezogenen Gardinen abspielte, kann der Nachbar nur erahnen. "Erst als die Polizei alles absperrte, haben wir erfahren, was passiert ist." Die 31-Jährige war mit ihren Kindern erst vor drei Monaten in den ländlichen Ort nahe der Ostseeküste gezogen, wo jeder jeden kennt.

Vor dem Haus lehnt noch ein weißes Fahrrad an einem verblühten Hortensienbusch, an der Haustür hängt ein Weihnachtskranz, im Briefkasten steckt eine Zeitung, vor der Garage türmt sich nicht abgeholter Sperrmüll. Schnell machen Gerüchte die Runde, die Kinder seien verwahrlost gewesen - ein Vorwurf, den die unter Schock stehenden Dorfbewohner zurückweisen. "Sie waren nicht wohlhabend aber ordentlich", sagt eine Nachbarin.

"Das stimmt überhaupt nicht, dass sie vernachlässigt waren", sagt ein elfjähriges Mädchen aus der Nachbarschaft. "Einmal ging einer von ihnen in Hausschuhen zur Schule, aber nur weil er vergessen hatte, richtige Schuhe anzuziehen", erzählt die Schülerin. Während die älteren Kinder um 7.30 Uhr an der Haltestelle die Köpfe zusammenstecken und sich über das Drama austauschen, begleiten weinende Eltern ihre Kinder den Berg hinauf zur Grundschule.

Im freundlichen Eingangsbereich stehen bei einer kleinen Krippe zwei Kinderfotos mit Kerzen - Jonas und Justin gingen in die erste und dritte Klasse. Schulleiterin Andrea Danker-Isemer ist fassungslos: "Heute kann kein normaler Unterricht stattfinden."

"Die Jungs waren immer höflich und nett. Sie waren sehr aufmerksam und haben gegrüßt", sagt Gemeindearbeiter Hans-Adolf Oden. Der 57-Jährige berichtet, die Mutter habe völlig zurückgezogen gelebt. "Ich habe sie nur einmal gesehen, da hatte sie den Kopf gesenkt und nicht gegrüßt."

Einer der Söhne, der fünfjährige Liam, war das Sorgenkind der Familie. Er kam mit einem Herzfehler zur Welt, hatte einen Chromosomendefekt und war Autist. Übers Internet versuchte die Mutter Interesse für das Schicksal ihres Sohnes zu wecken, Unterstützung zu finden. Für Liam entwarf die Familie sogar eine eigene Homepage, schilderte dort im Grußwort die Krankheiten des Kindes: "Ich würde gerne älter werden, denn es gibt so vieles, was ich von der Welt nicht gesehen habe. Ich habe ein krankes Herz und meine Eltern kämpfen um mich."

Durch den Kampf für die Therapie, schrieb die Mutter im Internet, "geht soviel wertvolle Zeit von meiner Familie weg". Die Mutter soll dauerhaft in der Psychiatrie bleiben. Sie hatte sich nach der Geburt des vierten Kindes sterilisieren lassen, wurde aber dennoch zum fünften Mal schwanger.

Februar 2007: In Esslingen tötet eine Mutter ihre beiden Söhne (8 und 12). Die 33-jährige Frau würgt die Jungen mit einem Elektrokabel bewusstlos und ersticht sie anschließend mit einem Küchenmesser. Im Oktober wird sie wegen Totschlags zu elf Jahren Haft verurteilt.

Januar 2006: Im thüringischen Altenburg findet die Polizei in einem Keller die im Boden eingemauerten Leichen von zwei Neugeborenen. Die Mutter (44) wird wegen zweifachen Totschlags zu neun Jahren Haft verurteilt. Die Frau hatte ihre Kinder direkt nach der Geburt erstickt.

Juli 2005: Im brandenburgischen Brieskow-Finkenheerd entdecken Beamte die Leichen von neun Babys. Sie sind in Blumentöpfen und -kästen verscharrt. Die 13-fache Mutter hat zwischen 1992 und 1998 acht heimlich geborene Kinder getötet, indem sie die Neugeborenen unversorgt ließ. Wegen achtfachen Totschlags wird die 40-Jährige zu 15 Jahren Haft verurteilt.