Entsetzen nach den Morden in Darry und Plauen

Die Politik beklagt eine "Kultur des Wegsehens". Mutter der fünf getöteten Jungen muss in die Psychiatrie.

Berlin. Mit Betroffenheit und Entsetzen hat die Politik auf die beiden Fälle von Kindstötungen in Darry in Schleswig-Holstein und dem vogtländischen Plauen reagiert. "Diese unfassbaren Fälle gehen unter die Haut", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie verlangte "eine Kultur des Hinsehens" in Deutschland. Es dürfe "kein Klima des Wegsehens geben". Nicht nur die Behörden seien gefordert.

Die frühere Bundesfamilienministerin Renate Schmidt (SPD) forderte die flächendeckende Anwendung eines Modells der "vorsorgenden Kinderarbeit", wie es in der Stadt Dormagen entwickelt worden sei. Kernstück ist dabei ein Willkommenspaket für jedes neugeborene Baby. Mitarbeiter der Stadt besuchen jede Familie zu Hause und stellen so persönlichen Kontakt her. Würden Probleme bemerkt, helfe die Stadt oder vermittele innerhalb des Netzwerks von freien Trägern, sagte Schmidt. Bürgermeister in Dormagen ist der Präsident des Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers.

Die Mutter der in Darry getöteten fünf Jungen hat die Tat in der psychiatrischen Klinik Neustadt im Gespräch mit einem Arzt am Mittwoch selbst gemeldet. Die vom Arzt informierte Polizei fand die erstickten Kinder - Jungen im Alter von drei bis neun Jahren - im Haus der Familie. "Wir beschuldigen sie des fünffachen Mordes, allerdings im Zustand der vollständigen Schuldunfähigkeit", sagte Oberstaatsanwalt Uwe Wick.

Probleme Steffi B., die ihre fünf Jungen erstickt hat, galt als liebevolle Mutter. Doch seit Jahren kämpfte sie mit großen Problemen. Einer ihrer Söhne kam mit einem Herzfehler zur Welt, hatte einen Chromosomendefekt und war Autist. Die Behinderung hätte zu Schwierigkeiten in der Familie und mit Nachbarn geführt, klagte die Frau 2004 in einem Gespräch mit einer Lokalzeitung.

Denn auch der Verweis auf eine zunehmende soziale Verwahrlosung taugt als Erklärungsansatz kaum. Gewiss steigt, allen Sonntagsreden zum Trotz, die Zahl tatsächlich armer Kinder und Familien in Deutschland. Aber ein Blick auf die Tragödien der jüngsten Zeit zeigt, dass es sich bei ihnen nicht um ein strukturell-gesellschaftliches Muster, sondern um eine Kette von Einzelfällen handelte. Überforderung, Isolation oder psychische Defekte - jeder Fall hat seinen eigenen Hintergrund.