Dirndl für alle — die Tracht soll Deutschland erobern
Der Einzelhandel hat die Wiesn entdeckt und wirbt dafür, sich bundesweit dem bayerischen Brauchtum hinzugeben.
Düsseldorf. Manche Wahrheiten galten lange als unumstößlich. Zum Beispiel: Die Wiesn ist in München, und wer ein Dirndl trägt, spricht bayerisch. Damit ist es vorbei.
Zurzeit hängen im ganzen Land bayerische Trachten an den Kleiderstangen, flankiert von Accessoires für das am 17. September beginnende Oktoberfest. Sogar Supermärkte und Discounter locken mit dem Trachtenlook.
Der Kaffeeröster Tchibo hat zurzeit nicht nur ein eigenes Dirndl, sondern auch Strick-Janker und Wiesn-Schlüpfer im Angebot. Auf Nachfrage erklärt eine Unternehmenssprecherin, dass man damit auf ein gesteigertes Traditionsbewusstsein reagiere. „Überall in Deutschland tanzt man heute beim Oktoberfest“, laute das Credo.
Beim Textildiscounter Kik ist man vorsichtiger. Die Wiesn-Accessoires, wie Schmuck in Lebkuchenherz-Optik, vertreibt man außerhalb Bayerns sonst nur in Nordrhein-Westfalen — und setzt möglicherweise auf die bekannt hohe Bereitschaft zur Verkleidung.
Beim deutschen Handelsverband ist der Trachten-Trend — von Kritikern als Dirndl-Delirium bezeichnet — bekannt. Der Verbandssprecher, ein gebürtiger Münchner, ist skeptisch: „Jetzt hängen die Dirndl schon in Berlin am Alexanderplatz. Ich frage mich, wo die Leute das tragen wollen.“
Allerdings: Vor einigen Jahren hätte auch niemand gedacht, dass Deutschland einmal das amerikanische Halloween feiern würde — bis Kürbis- und Geisterdeko in den Einzelhandel kamen.