Diskussion um Gaucks Ehe „nicht mehr zeitgemäß“
Berlin (dpa) - Die Diskussion um die „wilde Ehe“ des designierten Bundespräsidenten Joachim Gauck ist nach Ansicht einer Soziologin nicht mehr zeitgemäß.
„Den Begriff "wilde Ehe" kann man heute nur noch in Anführungszeichen gebrauchen, weil er so veraltet ist“, sagte die Soziologin und Geschlechterforscherin Nina Degele von der Universität Freiburg im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Gauck lebt seit zwölf Jahren mit der Journalistin Daniela Schadt zusammen, ist aber noch mit einer anderen Frau verheiratet. Dies hatte in der Öffentlichkeit für Diskussionen gesorgt.
„Wenn er sich jetzt davon beeindrucken lässt und sagt "Okay, ich lasse mich scheiden und heirate die Frau Schadt", dann fände ich das einen Rückschritt“, sagte Professorin Degele, die auch Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Soziologie ist. „Das wäre eine Verbeugung vor den Reaktionären, die Familien- und Lebensverhältnisse wiederhergestellt haben möchten, die absolut nicht mehr zeitgemäß sind.“
Etikette spiele in der Öffentlichkeit aber trotzdem noch eine Rolle, sagte Degele. Mit Gaucks „wilder Ehe“ sei die Toleranzgrenze nun möglicherweise erreicht. „Ich kann mir vorstellen, dass sich Gauck jetzt nicht noch irgendwas "Lotterliches" erlauben darf.“ Nach Ansicht der Expertin geht der Trend aber auch in öffentlichen Ämtern hin zu alternativen Beziehungsmodellen.
„Es wird ganz eindeutig vielfältiger“, sagte Gesellschaftstheoretikerin Degele. Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff etwa lebe mit seiner Frau Bettina in einer Patchwork-Familie. Als Beispiele nannte die Soziologin auch Außenminister Guido Westerwelle (FDP) und Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), die beide einen männlichen Partner haben.
Diese Liberalität habe aber auch Grenzen. „Zweifelhaft finde ich die Selbstverständlichkeit, mit der erwartet wird, dass Frau Schadt ihren Beruf aufgibt.“ Für die Soziologin ist dies das „eigentlich Rückschrittliche“ an der Diskussion. „Bei Angela Merkel wäre niemand auf die Idee gekommen, von ihrem Mann zu erwarten, dass er sein Professorenamt aufgibt.“
Dass sich die künftige „First Lady“ ihren repräsentativen Aufgaben weitgehend entziehen könne, hält Degele für schwierig, aber möglich. „Da müsste sie sehr viel Selbstbewusstsein an den Tag legen und würde von der Öffentlichkeit vermutlich auch einiges an Prügel einstecken“, sagte die Expertin. „Aber wenn sie so ein Zeichen setzen würde, das fände ich unglaublich stark.“