Ein deutscher Meister: Städel zeigt „den ganzen Dürer“
Frankfurt/Main (dpa) - Diese vier Bilder ein bisschen nach links bitte, das hier kommt erst morgen, jene Figur muss in die andere Richtung schauen... Wenn Kurator Jochen Sander durch die halb aufgebaute Dürer-Ausstellung im Frankfurter Städel läuft, wird er auf Schritt und Tritt mit Fragen bombardiert.
In wenigen Tagen wird die Ausstellung eröffnet, die ziemlich sicher einer der Blockbuster des Jahres werden wird. Im Garten stehen schon die Extra-Kassenhäuschen. „Dürer. Kunst - Künstler - Kontext“ heißt die Ausstellung offiziell, auch wenn auf den Plakaten publikumswirksam „Dürer, deutscher Meister“ steht. Vom 23. Oktober bis 2. Februar ist der Renaissancekünstler Albrecht Dürer (1471-1528) dort zu entdecken.
Erst im vergangenen Jahr hatte eine große Dürer-Ausstellung 280 000 Menschen ins Germanische Nationalmuseum nach Nürnberg gelockt. In Dürers Heimatstadt hatte man „den frühen Dürer“ in den Mittelpunkt gestellt, Frankfurt will „den ganzen Dürer“ zeigen, wie Sander sagt, „das Schaffen des deutschen Meisters in der ganzen Breite und Vielfalt seiner künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten“.
Dafür bot sich in diesem Jahr eine einmalige Gelegenheit: Das Historische Museum in Frankfurt wird umgebaut, dadurch konnte das Städel einen Teil des sogenannten Heller-Altars ausleihen, dessen Tafeln in alle Winde zerstreut sind. Nun ist der Altar - für den der Frankfurter Kaufmann Heller in etwa den Gegenwert eines Hauses bezahlt hatte - vorübergehend wieder vollständig zu sehen.
Um eine gute Altmeister-Ausstellung zu machen, müsse man schon ein „global player“ sein, sagt Thomas Eser, der maßgeblich an der Nürnberger Ausstellung beteiligt war. Kleine Häuser bekämen nicht die wichtigen Werke. Darüber kann sich der gut vernetzte Städel-Chef Max Hollein nicht beklagen. Er schaffte Leihgaben herbei aus dem Prado in Madrid, dem Pariser Louvre, den Uffizien in Florenz, aus London, Amsterdam, Los Angeles.
Insgesamt sind auf zwei Stockwerken rund 200 Werke zu sehen. Dazu kommen rund 80 Arbeiten von Vorläufern, Zeitgenossen und Schülern. Dass der Meister in einen Kontext eingeordnet wird, findet Thomas Eser ganz wichtig. „Mein Anspruch wäre, dass man nicht nur den einen Künstler zeigt, sondern auch seine Herkunft, sein Umfeld und seine Konkurrenten“, sagt er. „Ich glaube, man holt Dürer gerade von seinem einsamen Sockel herunter.“
Indem man Dürers Arbeiten „neben die jeweils Besten seiner Zeit“ hängt, werde die Größe seiner künstlerischen Leistung erst richtig deutlich, argumentiert Sander. „Dürer war kein einsames Genie“: er kopierte, experimentierte, perfektionierte. Mit dem Bilderzyklus zur Apokalypse „revolutionierte er den Holzschnitt“, mit „Ritter, Tod und Teufel“, „Melancholie“ und „Hieronymus im Gehäus“ „treibt er den Kupferstich an die Grenze des künstlerisch Möglichen“.
Seine Druckgrafiken machten ihn weltberühmt. Für zeitintensives Malen hatte er keine Zeit mehr. Er gründete eine Werkstatt, zeichnete Entwürfe - und ließ malen. Drucken ging schneller, brachte mehr Geld und mehr Publicity. Egal was, Hauptsache von Dürer, sagte alle Welt und gab Glasfenster in Auftrag oder Kronleuchter aus Rentiergeweih mit Drachenkörper. Der Herzog will sein Porträt vergoldet? Wird gemacht. Die Dame soll konservativ wirken? Malen wir eben auf die traditionelle Art. Da war Dürer schmerzfrei.
„Dürer liebte sich selbst“, sagt Sander. Er malte nicht nur Selbstporträts, sondern schmuggelte sein Konterfei auch in viele andere Bilder. Die Buchstaben AD, die auf keinem noch so kleinen Blatt fehlen, waren mehr Markenzeichen als Signatur. Schon zu Lebzeiten prägte er Gedenkmünzen für die Zeit nach seinem Tod.
Die Städel-Ausstellung folgt nur lose der Chronologie. Viele Räume sind thematischen Schwerpunkten gewidmet: seinen Reisen nach Italien und Holland, den Porträts - hier hängt die Frau vom 20-Mark-Schein - oder seinem „Lebensthema“ Proportionen. Dürer schrieb Lehrbücher darüber, wie man Figuren „baut“. Das Skizzenbuch aus Dresden kann man auf iPads durchblättern, das Original liegt hinter Panzerglas.
Dürer konnte nicht nur konstruieren wie kein Zweiter, er hatte auch „eine enorme ästhetische Vorstellungskraft“, wie Sander sagt. Das zeigt das berühmte Bild von einem Rhinozeros - ein Tier, das er nie gesehen hat, weder in echt noch als Abbildung.